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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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München verfolgen zu können, wenn er am Wochenende arbeiten musste. Jetzt allerdings lief dort N24 mit den noch immer gleichen Bildern. Flüchtende. Einsatzfahrzeuge. Stellungnahmen. Hinnrichs hatte den Ton abgeschaltet, schielte jedoch von Zeit zu Zeit nach den Meldungen, die über den Ticker am Bildrand liefen. »Ist das, was nach so einer Wahnsinnstat übrig bleibt, denn nicht eher eine Angelegenheit für die Ballistiker und die Spurensicherung?«, setzte Verhoeven hinzu, weil er sich plötzlich nicht mehr sicher war, ob der Leiter des KK11 seine vorausgegangene Frage überhaupt zur Kenntnis genommen hatte. »Ich meine, die Sache scheint doch – so furchtbar sie in ihren Ausmaßen zweifellos ist – sonnenklar zu sein.«
    »Oh ja, das war sie auch«, entgegnete Hinnrichs bedeutungsvoll, indem er seine Aufmerksamkeit mit sichtlicher Mühe von den Tickermeldungen losriss. »Bis vor einer Stunde …«
    Verhoeven tauschte einen Blick mit Winnie Heller, bevor sie beide wieder Hinnrichs’ stahlblaue Augen fixierten, in denen sich das entfernte Flimmern der Fernsehbilder spiegelte. Doch der Leiter des KK11 hatte sich in seinem trutzigen Ledersessel zurückgelehnt und schwieg, während im Aschenbecher neben dem Telefon eine seiner obligatorischen Mentholzigaretten vor sich hin qualmte. Erst als ihm die Stille zu lange dauerte, ließ er sich widerwillig dazu herab, ein weiteres Puzzleteilchen der Informationen, über die er ganz offenbar verfügte, preiszugeben.
    »Wie Sie bereits richtig festgestellt haben, schien der Fall klar zu sein«, sagte er. »Ein frustrierter Schüler, der von einem Moment auf den anderen durchdreht und um sich schießt. Grauenvoll natürlich, aber alles schon da gewesen. Doch dann«, er beugte sich vor, »wurde da dieser Junge gefunden.«
    Verhoeven, dem der bruchstückhafte Bericht seines Vorgesetzten allmählich auf die Nerven ging, zwang sich zur Ruhe. Vor seinem inneren Auge stand noch immer das Bild seiner entsetzten Tochter und ihres dicken Kavaliers. Er sah Dominik Rieß-Sempers angstvoll geweitete Pupillen und fragte sich, ob der Junge Albträume bekommen würde. Und auch, ob Dominiks Eltern wohl auf die Idee kommen würden, Silvie und ihn wegen einer nicht hinnehmbaren Traumatisierung ihres Sohnes durch belastende Medieneindrücke zur Rechenschaft zu ziehen.
    Auf dem Stuhl neben ihm schlug Winnie Heller in unverhohlener Ungeduld die Beine übereinander. »Und was genau ist das für ein Junge, der gefunden wurde?«, fragte sie.
    Hinnrichs’ Reptilienaugen wandten sich ihr zu. »Derselbe Junge, der von unserem Amokläufer bereits gestern, also einen Tag vor der Tat, dazu aufgefordert wurde, heute um halb zwölf in einem Putzraum im Untergeschoss der Schule zu erscheinen«, antwortete er, indem er seine Brille, die er zwischenzeitlich neben seine Akte gelegt hatte, wieder aufsetzte und sich ein Glas Wasser aus der wertvoll anmutenden Kristallkaraffe eingoss, die auf einem schwarzen Marmoruntersetzer mitten auf dem Schreibtisch stand. Seit ein paar Wochen ersetzte die Karaffe die bis dato obligatorischen Plastikflaschen, und im Präsidium kursierten Gerüchte, Hinnrichs leide an einer Allergie gegen chemische Weichmacher oder gegen die Reinigungsmittel, die beim Recycling der Flaschen verwendet wurden. Hinnrichs trank einen Schluck und behielt das Glas in der Hand. »In dem besagten Putzraum hat Nikolas Hrubesch unseren Zeugen dann mit einer Pistole bedroht«, fuhr er fort, »und ihn aufgefordert, mit ihm die Kleider zu tauschen. Aber der Junge war klug genug, die Beine in die Hand zu nehmen und stiften zu gehen.«
    Verhoeven begriff die Bedeutung der Information, die der Leiter des KK11 ihnen soeben genussvoll serviert hatte, auf Anhieb, und auch in Winnie Hellers Augen blitzte Erkennen auf. »Sie denken, dass Nikolas Hrubesch vorhatte, seinen Amoklauf zu überleben?«, fragte sie ungläubig. »Dass er einen Unbeteiligten ausgewählt hat, den er in seine Kleider stecken und zum Sündenbock stempeln wollte, während er selbst sich im allgemeinen Chaos unter die Flüchtenden mischt und unbescholten nach Hause spaziert?«
    Hinnrichs nickte, sichtlich zufrieden, dass seine Beamten den Kern der Sache auf den ersten Blick erfasst hatten. »Tja, genau so sieht’s aus.«
    »Aber wenn das stimmt …« Verhoeven schüttelte verwirrt den Kopf. »Warum ist Nikolas Hrubesch dann tot?«
    »Weil ihn jemand erschossen hat«, entgegnete sein Vorgesetzter lapidar.
    »Was genau meinen Sie mit jemand?«,

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