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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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von flüchtenden Kindern wechselten sich mit dem Standbild eines Gebäudes ab, das Verhoeven auf den ersten Blick nicht näher zuordnen konnte. Dazwischen folgten immer wieder kurze Sequenzen, die ankommende Einsatzfahrzeuge und Rettungswagen zeigten. AMOKLAUF AN WIESBADENER GYMNASIUM, las er in den rot unterlegten Breaking News, die am unteren Bildrand entlangliefen. MASKIERTER ATTENTÄTER DRINGT SCHWER BEWAFFNET IN HESSISCHE SCHULE EIN *** WIDERSPRÜCHLICHE ANGABEN ZUR ANZAHL DER OPFER *** MINDESTENS ACHT TOTE BEFÜRCHTET *** OFFENBAR KEINE FORDERUNGEN DES ATTENTÄTERS *** AUGENZEUGEN SPRECHEN VON WILDER SCHIESSEREI *** SCHULGELÄNDE WEITRÄUMIG ABGESPERRT *** LAGE VOR ORT WEITER UNKLAR *** SCHWERVERLETZTE MIT RETTUNGSHUBSCHRAUBERN IN DIE UMLIEGENDEN KRANKENHÄUSER TRANSPORTIERT *** POLIZEI-HOTLINE FÜR ANGEHÖRIGE: 0611 …
    »Mein Gott!«, stieß Verhoeven hervor, während sein Blick einmal mehr an der Fassade des Clemens-Brentano-Gymnasiums hängen blieb. Er erinnerte sich auf einmal, dass er das Gebäude vom Vorbeifahren kannte. Allerdings schien das, was er jetzt sah, die Rückfront zu sein. Seine Augen erfassten eine Turnhalle mit hohen Fenstern. Ein paar imposante alte Kastanienbäume auf einem leer gefegten Schulhof. Dazu eine Reihe von Scheiben, in denen sich gleißendes Sonnenlicht spiegelte. Dasselbe Sonnenlicht, das sich nur ein paar Meter entfernt mit milder Septemberwärme über die Terrasse ergoss. Dann zoomte die Kamera ein Stück näher an das Gebäude heran. Aus einem der oberen Stockwerke schneite Papier herab. Weiße Schnipsel rieselten langsam zu Boden wie unförmige Schneeflocken. Ihr Fallen hatte kein Geräusch und wirkte seltsam irreal, vielleicht, weil der gesamte Vorgang sein eigenes Tempo zu haben schien. LIVE, stand in der linken oberen Ecke, und vor Verhoevens innerem Auge blitzte ein Bild auf. Das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt. Im Fenster ein Schild, ein Fetzen Papier, aus einem Schulheft gerissen, ein improvisierter, verzweifelter Hilferuf. Er schüttelte fassungslos den Kopf, während sich ein überforderter Moderator aus dem Off darum bemühte, zu kommentieren, was er sah. Ich bin jetzt telefonisch verbunden mit meinem Kollegen …
    »Warum schon wieder?«, fragte Silvie mit belegter Stimme.
    Verhoeven antwortete nicht. Er hatte nicht das Gefühl, dass es so etwas wie eine Erklärung geben konnte für das, was da vor ihren Augen geschah.
    »Erfurt, Littleton …« Seine Frau schluckte. »Und Blacksburg ist doch noch nicht einmal ein halbes Jahr her. Ich meine, was treibt diese Kinder bloß dazu, loszuziehen und alles über den Haufen zu schießen, was bis dahin zu ihrem Leben gehört hat? Was muss passieren, damit …« Sie unterbrach sich und blickte an ihm vorbei. Auf ihrem Gesicht lag eine tiefe Bestürzung.
    Verhoeven drehte sich um und sah seine Tochter in der Tür stehen, die großen braunen Augen angstvoll geweitet. Neben ihr presste sich Dominik Rieß-Semper voller Entsetzen eine Hand auf den zu einem stummen Schrei geöffneten Mund. Die Blicke der beiden Kinder waren auf den Bildschirm gerichtet, über den soeben wieder Sequenzen von flüchtenden, kreischenden und blutenden Schülern flimmerten, die irgendein Techniker zusammen mit den Aufnahmen ankommender Polizei- und Einsatzfahrzeuge und ein paar ersten O-Tönen zu einer Endlosschleife zusammengeschnitten hatte, die nur sporadisch von Live-Bildern des weiträumig abgeriegelten Schulgeländes unterbrochen wurde. In einem kleinen Ausschnitt am Bildrand rangen unterdessen zwei eiligst herbeizitierte Experten für Jugendkriminalität unter der Anleitung eines betroffen dreinblickenden Moderators um eine wie auch immer geartete Analyse des Geschehens.
    »Was passiert da, Papa?«, fragte Nina mit brüchiger Stimme, während ihre Mutter nun auch endlich die Fernbedienung zu fassen kriegte und den Fernseher ausschaltete. »Warum sind diese Kinder verletzt?«
    Verhoeven tauschte einen Blick mit seiner Frau und empfand eine seltsame Mischung aus Schuld und Erleichterung, als just in diesem unbequemen Augenblick sein Handy zu klingeln begann.
     
     
    8
    Winnie Heller verspürte ein leichtes Schwindelgefühl, als sie sich langsam und mit gesenktem Kopf jener Stelle näherte, an der sie in der vergangenen Nacht so knapp einer Katastrophe entronnen war. Einer noch größeren Katastrophe, korrigierte sie sich in Gedanken und fasste nach ihrer Schulter. Diese Schürfwunden schmerzten wie die Hölle, aber vielleicht empfand sie den

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