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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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von dessen Hose ein Urinfleck bildete, aus dem es auf die Straße tröpfelte. »Bitte, Mylord. Ich habe getan, was Ihr befohlen habt. Ich bin dem Weißhaarigen gefolgt – ich habe die Botschaft überbracht. Warum tut Ihr mir das an?«
    Aber der Earl von Upnor richtete den Blick auf ihn und hob seinen Stiefel einen Zoll. Der Berittene neigte den Kopf – senkte die Nase in Richtung Stiefel – doch dann senkte der Earl langsam den Stiefel, bis er den Boden erreicht hatte, und zwang den anderen so, sich tief herabzubeugen, sich auf die Knie niederzulassen und sich schließlich mit den Ellbogen auf der Erde aufzustützen, um mit der Nase genau da hinzukommen, wo der Earl sie haben wollte.
    Dann war es vorbei, und der vornehme Reiter floh, das Gesicht in den Händen vergraben, von Charing Cross, um vermutlich nie mehr in London gesehen zu werden – was wohl genau der Absicht des Earls entsprach.
    Der Earl seinerseits ließ seine Entourage in einer Schänke zurück und begab sich allein in denselben Laden wie Isaac Newton. Daniel war sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr sicher, dass Isaac überhaupt noch dort war. Er passierte einmal die Ladenfront und sah endlich ein winziges Schild im Fenster: MONSIEUR LEFEBURE – CHEMIKER.
    Die nächste halbe Stunde trieb sich Daniel auf Charing Cross herum und warf dabei von Zeit zu Zeit einen Blick in M. LeFebures Laden, bis er endlich, von einem Fenster gerahmt, den silberhaarigen Isaac zu Gesicht bekam, tief im Gespräch mit Louis Anglesey, dem Earl von Upnor, der nur hingerissen nickte und nickte und (sicherheitshalber) noch einmal nickte.
    Ganz ähnlich wie die Sonne in Woolsthorpe ihr Antlitz in Isaacs Netzhäute eingebrannt hatte, stand dieses Bild Daniel noch vor Augen, nachdem er Charing Cross längst den Rücken gekehrt und sich davongemacht hatte. Er ging lange Zeit durch die Straßen und verlagerte dabei das Gewicht des Fernrohrs ab und zu von einer Schulter auf die andere. Er bewegte sich ungefähr in Richtung Bishopsgate, wo er an einer Zusammenkunft teilzunehmen hatte. Den ganzen Weg über verfolgte und quälte ihn eine Empfindung, die schwer zu identifizieren war, bis er sie endlich als so etwas wie Eifersucht erkannte. Er wusste nicht, was Isaac im Haus/Laden/Laboratorium /Salon von M. LeFebure trieb. Er vermutete Alchimie, Sodomiterei oder ein kräftiges, dampfendes Gebräu aus beidem: und wenn nicht, dann zumindest ein Kokettieren damit.Was ganz und gar Isaacs Sache war und Daniel nichts anging. Tatsächlich hatte Daniel weder an dem einen noch an dem anderen Zeitvertreib Interesse. Eifersüchtig zu sein war daher unsinnig. Und trotzdem war er es. Irgendwie hatte Isaac Freunde gefunden, denen er Dinge anvertrauen konnte, die er Daniel verschwieg. Das war es, so schlicht und schmerzhaft wie ein Schlag ins Gesicht. Aber Daniel hatte selbst Freunde. Er war gerade unterwegs zu ihnen. Einige waren nicht weniger betrügerisch und töricht als Alchimisten. Vielleicht bekam er dafür von Isaac nur, was er verdiente.

Zusammenkunft der Royal Society, Gresham’s College
    12. AUGUST 1670
An einem Abend in voller Stärke, wenn etwa irgendein eminenter Phantast sich anheischig machte, zur Zufriedenheit der Society mithilfe eines dicht verschlossenen Schießrohrs die Kraft der Luft zu demonstrieren, die Unterschiede in der Schwere des Rauchs von Tabak, Huflattich und Roter Betonie darzutun oder irgendein anderes derartiges Experiment durchzuführen, bestand dieser Zusammenschluss von Virtuosos stets aus einem so eigenartigen Menschengemisch, dass, wie bei einer Gesellschaft von Glöcknern auf einem Quartalsfest, hier ein dicker, kurzsichtiger Philosoph neben einem geschwätzigen Brillenmacher saß; dort ein schwachköpfiger Sonderling von Stand neben einem zerlumpten Mathematiker; auf der anderen Seite ein schwindsüchtiger Astronom neben einem wassersüchtigen Arzt; weiters ein Metallverwandler neben einem Jäger des Steins der Weisen; am unteren Ende ein faselnder Mechanikus neben einem plumpfäustigen Maurer; am oberen Ende von allem vielleicht ein atheistischer Chemiker neben einem schrulligen Dozenten; und zwischen diesen gelehrten Klugrednern hier und da eingezwängt wunderliche Handwerker und lärmende Projektemacher aller Fachgebiete; manche unter der Last der Jahre und der unermüdlichen Arbeit gebeugt, manche vom kargen Leben und nächtlichen Studium so hohlwangig und schweräugig, als hätte sie der Himmel wie das magere Vieh des Pharao dazu bestimmt, die Welt

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