Quicksilver
Churchill blickte über Daniels Schulter in Richtung Straße. Somit konnte er ausgiebig ihr Gesicht betrachten, in das sie mehrere Schönheitspflästerchen aus schwarzem Samt geklebt hatte – was ihr, da die darunter liegende Haut mit irgendeinem starken Kosmetikum weiß gefärbt worden war, eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Dalmatiner verlieh. »Er ist da«, sagte sie zu demjenigen, den sie im Moment gerade ansah. Dann, verwirrt: »Habt Ihr Euren Halbbruder erwartet?«
Daniel drehte sich um und erkannte Sterling Waterhouse, mittlerweile um die vierzig, und seine ihm seit drei Jahren angetraute Frau Beatrice nebst einer ganzen Schar von Personen, die allem Anschein nach soeben eine Art Raubzug auf die New Exchange unternommen hatten. Sterling und Beatrice waren von der Begegnung nicht begeistert. Doch da Mrs. Churchill nun einmal getan hatte, was sie getan hatte, blieb ihnen keine andere Wahl als zu ihm herüberzukommen. Das taten sie denn auch, durchaus vergnügt, und damit begann eine Reihe von Begrüßungen, Vorstellungen und anderen Formalitäten (unter Einschluss dessen, dass sämtliche Beteiligten den Churchills zu den glänzenden Eigenschaften ihres Sohnes John gratulierten und versprachen, für seine sichere Heimkehr von den Gestaden von Tripolis zu beten), die sich auf ungefähr eine halbe Stunde ausdehnte. Daniel hatte nicht übel Lust, sich selbst die Kehle durchzuschneiden. Diese Leute lebten von dem, was sie da taten. Daniel nicht.
Aber er gewann immerhin eine Einsicht, die sich im späteren Umgang mit seiner Familie als nützlich erweisen sollte. Weil Raleigh mit der geheimnisvollen Verschwörung zu schaffen hatte, deren sich Daniel in letzter Zeit vage bewusst geworden war, hatte sie vermutlich etwas mit Land zu tun.Weil Onkel Thomas (»Viscount Walbrook«) Ham ebenfalls darin verwickelt war, musste es darum gehen, das Geld reicher Leute einem intelligenten Verwendungszweck zuzuführen. Und weil Sterling daran beteiligt war, hatte sie wahrscheinlich mit Ladengeschäften zu tun, denn Sterling hatte sich, seit Drake in die Flammen über London aufgestiegen war, von dessen Procedere (Schmuggel und Herumreisen zwecks Abschluss privater Geschäfte abseits von Märkten) entfernt und war zu der neumodischen Verfahrensweise übergegangen, sämtliche Ware in ein festes Gebäude zu schaffen und dann darauf zu warten, dass sich die Kundschaft dorthin begab. Die ganze Sache fügte sich in Daniels Kopf komplett zusammen, als er in jenem Kaffeehaus in Charing Cross saß und die Höflinge, feinen Pinkel, hohen Tiere und Stutzer betrachtete, die aus den neuen Stadthäusern herbeiströmten, welche auf Land entstanden, das vor vier Jahren verbrannt oder offene Weide gewesen war. Sie planten irgendeine Art von Grundstückserschließung am Rande der Stadt – wahrscheinlich auf den paar Morgen Weideland hinter dem Waterhouse’schen Wohnhaus. An den Rändern würden sie Stadthäuser bauen, die Mitte zu einem Platz ausgestalten, und an diesem Platz würde Sterling Läden aufmachen. Reiche Leute würde dorthin ziehen, und die Waterhouses und ihre Bundesgenossen würden ein Stück Land kontrollieren, das wahrscheinlich mehr Pacht abwarf als beliebige tausend Quadratmeilen in Irland – im Grunde würden sie sich auf den Anbau reicher Leute verlegen.
Außerordentlich raffiniert aber – wie nur Sterling es sein konnte – wurde das Projekt dadurch, dass es gar kein Kampf im eigentlichen Sinne sein würde. Sie mussten keinen Gegner aus dem Feld schlagen, keinerlei Hindernis überwinden – sondern sich lediglich von bestimmten unerbittlichen Trends mittragen lassen. Alles, was sie zu tun hatten – was Sterling zu tun hatte -, war, diese Trends wahrzunehmen . Ein Wahrnehmungstalent hatte er schon immer gehabt – deshalb waren seine Läden auch so geschätzt -, sodass er bloß am richtigen Ort sein musste, um die notwendigen Wahrnehmungen zu machen, und der richtige Ort war offensichtlich Mrs. Green’s Kaffeehaus.
Aber es war der falsche Ort für Daniel, der nur wahrnehmen wollte, was Isaac im Schilde führte. Überall um ihn herum waren lebhafte Gespräche im Gange, aber sie hätten genauso gut in einer fremden Sprache stattfinden können – was sie häufig auch taten. Daniel betrachtete abwechselnd das Fernrohr und fragte sich, wann er es vom Tisch verschwinden lassen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen; starrte zu dem geheimnisvollen Laden und dem vornehmen Reiter hinüber; erging sich in brüderlichen
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