Quicksilver
befunden hatte, ein »seditious libeller«, ein staatsgefährdender Verleumder, zu sein.
Gomer Bolstrood konnte nicht älter als fünfundzwanzig Jahre sein, aber der kanonenkugelartige Kopf in Verbindung mit den Brandmalen verlieh ihm die Erscheinung eines viel älteren Mannes. Er deutete mit dem Kinn bedeutungsvoll auf einen Ort hinter der Tribüne.
Gomer Bolstrood, Sohn Seiner Majestät Minister Knott, Sohn des Ur-Barkers Gregory, führte Daniel in ein Vagabundenlager aus Zelten und Wagen, das man zwecks Versorgung und Unterstützung dieser Galainszenierung errichtet hatte. Einige der Zelte waren für die Schauspieler und Schauspielerinnen da. Gomer führte Daniel zwischen zweien hindurch, was bedeutete, gegen eine Flut »französischer Mätressen« anzukämpfen, die gerade vom Thron des »Sonnenkönigs« zurückkamen. So wie sich den empfindlichen Augen Isaac Newtons während seiner Farbexperimente gleichsam auf Dauer das Bild der Sonnenscheibe eingebrannt hatte, so prägten sich Daniels Netzhaut nun mindestens ein Dutzend Dekolletés ein. Über allen diesen Dekolletés musste es irgendwo auch Köpfe geben – aber der einzige, den er überhaupt wahrnahm, sprach mit französischem Akzent mit einem der anderen Mädchen. Woraus er (rückblickend und ziemlich einfältig) schloss, dass es sich um eine Französin handeln musste. Doch ehe Daniel in eine ausgewachsene Träumerei abdriften konnte, hatte Gomer Bolstrood ihn am Oberarm gepackt und zog ihn zwischen den Klappen eines benachbarten Bierzeltes hindurch.
Das Bier war holländischer Herkunft. Genau wie der Mann, der am Tisch saß. Aber die Waffel, die der Mann aß, war unbestreitbar belgisch.
Man bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und er setzte sich an den Tisch und sah dem holländischen Gentleman eine Zeit lang beim Waffelessen zu. Jedenfalls schaute er in diese Richtung. Nach wie vor standen ihm das Bild von Dekolletés und das Gesicht jener »Französin« vor Augen. Doch nach einer Weile verblassten sie leider und wurden ersetzt von einer Waffel, die man auf einem Teller aus Delfter Porzellan vor ihn hingestellt hatte. Nicht aus derbem, schwerem Pilger-Steingut, sondern aus dem guten Material von Exportqualität.
Er spürte die implizite Aufforderung mitzuessen. Also trennte er ein Eckchen von der Waffel ab, steckte es sich in den Mund und begann zu essen. Es schmeckte gut. Seine Augen begannen sich an die im Zelt herrschende Düsternis zu gewöhnen, und er bemerkte in den Ecken gestapelte und sorgsam in alte Druckfahnen eingeschlagene Flugblätter. Die Worte auf den Druckfahnen waren in allen möglichen Sprachen außer Englisch – man hatte die Flugblätter in Amsterdam gedruckt und auf einem Bierschiff, vielleicht auch auf einem Waffelkahn hierher gebracht. Ab und zu teilten sich die Zeltklappen, und Gomer oder einer der schweigsamen, Pfeife rauchenden Holländer in den Ecken reichte einen Packen Flugblätter durch den Spalt nach draußen.
»Was haben belgische Waffeln und die Dekolletés dieser Mädchen gemeinsam?«, fragte der holländische Botschafter; denn um niemand anderen handelte es sich. Er tupfte sich mit einer Serviette Butter von den Lippen. Er war blond und pyramidenförmig, als konsumiere er große Mengen von Bier und Waffeln. »Ich habe Euch hinstarren sehen«, fügte er entschuldigend hinzu.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung – Sir!«
»Negativen Raum«, tönte der holländische Botschafter und ließ die lang gezogenen Vokale dröhnen, wie es nur ein schwergewichtiger Holländer konnte. »Habt Ihr davon schon gehört? Es ist ein Kunstbegriff. Mit negativem Raum kennen wir uns aus, weil wir Bilder so sehr mögen.«
» Ist das so etwas Ähnliches wie negative Zahlen?«
»Es ist der Raum zwischen zwei Dingen«, sagte sein Gegenüber, legte sich die Hände auf die Brust und drückte seine Brustmuskeln Richtung Mitte, sodass ein schwacher Eindruck von Dekolleté entstand. Daniel sah mit höflicher Ungläubigkeit zu und versuchte nicht zu schaudern. Der Holländer pflückte eine frische Waffel von einem Teller und hielt sie an einer Ecke hoch wie einen Lappen, der sich mit etwas Unerfreulichem voll gesogen hat. »Ebenso wird die belgische Waffel nicht von ihrer eigenen Wesensbeschaffenheit geformt und definiert, sondern von den heißen Platten aus hartem Eisen, die sie oben und unten umschließen.
»Aha, verstehe – Ihr spielt auf die Spanischen Niederlande an!«
Der holländische Botschafter verdrehte die Augen und warf die Waffel
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