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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Pepys murmelte seinem Gehilfen Dinge zu, die dieser notierte. Daniel blieb es überlassen, den Blasenstein in der Hand zu drehen und auf London hinauszuschauen, das auf Straßenhöhe ganz anders aussah. Beim Durchqueren des Kirchhofs von St. Paul’s sahen sie den gesamten Inhalt einer Druckerei auf die Straße geräumt – mehrere Gerichtsdiener und einer von Sir Roger L’Estranges Leutnants durchwühlten Stapel von ungebundenen Bögen und hielten Holzblöcke vor Spiegel.
    Binnen Minuten jedoch waren sie vor Wilkins’ Haus angelangt. Pepys ließ seinen Gehilfen und seine Papiere unten in der Kutsche zurück und hatte, während er die Treppe hinaufpolterte, den Blasenstein in der Hand wie ein fahrender Ritter, der einen Splitter vom wahren Kreuz schwingt.
    Er hielt ihn Wilkins vor die Nase. Der lachte nur. Aber es war gut, dass er das tat, denn ansonsten bot sein Zimmer ein Bild des Grauens – seine dunklen Hosen konnten nicht verbergen, dass er Blut pisste, und das manchmal eher, als er es zum Nachttopf schaffte. Er wirkte, sofern das überhaupt möglich war, zugleich verschrumpelt und aufgedunsen, und der Geruch, der von seinem Körper ausging, schien darauf hinzudeuten, dass seine Nieren dabei waren, ihm den Dienst zu versagen.
    Während Pepys den Bischof von Chester ermahnte, sich den Stein schneiden zu lassen, blickte Daniel sich um und sah zu seinem Kummer, aber ohne Überraschung, mehrere leere Fläschchen aus der Apotheke von Monsieur LeFebure. Er schnupperte an einer. Es war Elixir Proprietalis LeFebure – das, was auch Hooke nahm, wenn Kopfschmerzen ihn an den Rand des Selbstmords trieben – die Frucht von LeFebures Forschungen über bestimmte bemerkenswerte Eigenschaften der Familie der Mohngewächse. Bei Hofe war das Mittel ungeheuer beliebt, auch bei denen, die nicht von Kopfschmerzen oder vom Stein gequält wurden. Doch als Daniel miterlebte, wie Wilkins in eine Kolik verfiel – die den Lord Bischof von Chester für mehrere Minuten zu einem dumpfen Tier machte, das zuckte und heulte -, kam er zu dem Schluss, dass Monsieur LeFebure vielleicht doch kein so sinistrer Bursche war.
    Als es vorbei und Wilkins wieder Wilkins war, zeigte Daniel ihm das Flugblatt und erwähnte L’Estranges Razzia in der Druckerei.
    »Die gleichen Leute tun die gleichen Dinge wie vor zehn Jahren«, erklärte Wilkins.
    Daran – die gleichen Leute – erkannte Daniel, dass der Urheber der Flugblätter und das eigentliche Ziel von L’Estranges Razzien Knott Bolstrood sein musste.
    »Und deshalb kann ich meine Tätigkeit auch nicht einstellen, um mir den Stein schneiden zu lassen«, sagte Wilkins.
     
    Daniel brachte über dem Schacht im Gresham’s College einen Flaschenzug an, Hooke legte den Wiederaufbau von London für einen Tag auf Eis, und sie hievten das lange Fernrohr an Ort und Stelle, wobei Hooke jedes Mal, wenn es irgendwo anstieß, zusammenfuhr und aufschrie, als stünde das Instrument in unmittelbarer Verbindung mit seinem Augapfel.
    Dabei konnte sich Daniel nicht so recht auf den Himmel konzentrieren, weil die Stadt mit ihrem intimen Gemurmel, ihren Vertraulichkeiten, ihn nicht in Ruhe ließ – unter seiner Tür hindurchgeschobene Briefchen, hochgezogene Augenbrauen in Kaffeehäusern, auf der Straße beobachtete Merkwürdigkeiten, das alles nahm seine Aufmerksamkeit stärker gefangen, als es hätte der Fall sein dürfen.Vor der Stadt entstand auf dem Glacis jener mysteriösen Festungsanlage ein Gerüst, auf dem sich stufenförmig lange Bänke anzuordnen begannen.
    Dann, eines Nachmittags, fanden sich Daniel, sämtliche Londoner Personen von Stand sowie der größte Teil der Taschendiebe der Stadt dort ein, saßen auf den langen Bänken oder liefen auf den Feldern umher. Der Herzog von Monmouth kam in einem Kavalierskostüm angeritten, das von solcher Pracht war, dass es sämtliche jemals von Kalvinisten gehaltene Predigten sogleich widerlegte und zuschanden machte – denn wenn diese Predigten zuträfen, müsste Monmouth auf der Stelle von einem eifernden Gott erschlagen werden. John Churchill – womöglich der einzige Mann in England, der besser aussah als Monmouth – trug deshalb etwas weniger umwerfende Kleidung. Der König von Frankreich konnte dem Ereignis nicht beiwohnen, da er gerade stark damit beschäftigt war, die holländische Republik zu erobern, doch an seiner Stelle kam ein stattlicher Schauspieler in königlichem Hermelin hervorstolziert, nahm einen Thron auf einem künstlichen Hügel ein und

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