Quicksilver
Gegenteil«, sagte Gomer. »Ich würde sagen, dass du in schrecklicher Gefahr schwebst, Bruder Daniel.«
Jeder andere hätte damit körperliche Gefahr gemeint, aber Daniel hatte genügend Lebenszeit mit Menschen vom Schlage Gomers – und das hieß von seinem eigenen Schlag – verbracht, um zu wissen, dass Gomer von geistiger Gefahr sprach.
»Doch nicht etwa deshalb, weil ich gerade eben einem hübschen Mädchen auf den Busen gestarrt habe -?«
Gomer war von dem Scherz nicht sonderlich angetan. Tatsächlich spürte Daniel, noch ehe die Worte heraus waren, dass sie nur Gomers Meinung bestätigen würden, dass er, Daniel, ein Verworfener war oder auf dem besten Wege, einer zu werden. Er versuchte es anders: »Dein eigener Vater ist Minister!«
»Dann geh und sprich mit meinem Vater.«
»Worauf ich hinauswill, ist, dass es nichts schaden kann – oder keine Gefahr darin liegt, wenn du es unbedingt so nennen willst -, taktisch vorzugehen. Cromwell hat sich einer Taktik bedient, um Schlachten zu gewinnen, oder? Das heißt aber nicht, dass es ihm an Glauben fehlte. Ganz im Gegenteil – Sünde wäre es, den Verstand, den Gott einem geschenkt hat, nicht zu gebrauchen und jeden Kampf als Frontalangriff zu führen – du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen!«
»Wilkins hat den Stein«, sagte Gomer. »Ob Gott oder der Teufel ihn in seine Blase praktiziert hat, ist eine Frage für Jesuiten. Er hat ihn jedenfalls und wird daran sterben, sofern du und deine Fellows nicht eine Methode ersinnen, ihn in eine wässrige Form zu verwandeln, die sich auspissen lässt. Aus Furcht vor seinem Tod hast du dir dieses Hirngespinst zusammengemodelt, dass es, wenn ich, Gomer Bolstrood, aufhöre, auf den Straßen von London Flugschriften zu verteilen, eine längere Ereigniskette auslöst, die irgendwie damit endet, dass sich Wilkins von einem Chirurgen den Stein schneiden lässt, die Operation übersteht und als der gütige Vater, den du niemals hattest, glücklich bis an sein Ende lebt. Und du sagst, die Holländer seien geistig verwirrt?«
Daniel konnte nicht antworten. Gomers Ansprache hatte ihn mit ebenso viel Hitze, Gewalt und sprachlos machendem Schmerz im Gesicht getroffen wie diesen das Brandeisen.
»Da du dich selbst für einen Meister der Taktik hältst, denke über dieses hurenhafte Spektakel nach, das wir da mit ansehen.« Gomer zeigte auf die Lünette. Oben auf der Brustwehr pflanzte Monmouth soeben neuerlich die französische und die englische Flagge auf, unter dem Jubel der Zuschauer, die im Chor fröhlich »Pikes on the Dikes« anstimmten, während »d’Artagnan« seinen letzten Atemzug tat. John Churchill trug ihn in seinen Armen die Schräge der Erdschanze hinunter und legte ihn auf eine Trage, wo sein Körper mit Blumen bestreut wurde.
»Sieh den Märtyrer!«, schrie Gomer. »Der sein Leben für die edle Sache gab und dem alle Personen von Stand ein liebendes Andenken bewahren! Da hast du deine Taktik. Es tut mir Leid, dass Wilkins krank ist. Ich würde ihm auf keinen Fall schaden wollen, denn er war unser Freund. Aber es steht nicht in meiner Macht, den Tod von seiner Schwelle fern zu halten. Und wenn der Tod kommt, wird er ihn zum Märtyrer machen – vielleicht nicht zu einem so romantischen wie d’Artagnan – aber zu einem, der einer besseren Sache förderlich ist. Bitte um Verzeihung, Bruder Daniel.« Gomer stakste davon und riss dabei das Einwickelpapier eines Bündels Flugschriften auf.
»D’Artagnan« wurde in einem Leichenzug prächtig zerzauster und verwuschelter Kavaliere vor den Tribünen vorbeigetragen, und die Zuschauer deckten sich bei fliegenden Blumenhändlerinnen ein und ließen Sträuße und Blüten auf die lebenden und »toten« Helden regnen. Doch noch während Blütenblätter auf den falschen Musketier herabrieselten, stellte Daniel fest, dass, von einer Brise von den Tribünen herübergeweht, überall um ihn herum Zettel herabschwebten. Er griff sich einen aus der Luft und sah sich einer Karikatur mehrerer französischer Kavaliere gegenüber, die eine holländische Melkerin vergewaltigten. Ein zweiter zeigte einen Musketier mit cravate, dessen Silhouette sich vor dem Licht einer brennenden protestantischen Kirche abzeichnete und der im Begriff stand, mit seinem Degen einen in die Luft geschleuderten Säugling aufzuspießen. Überall um Daniel herum und oben auf der Tribüne gingen diese Zettel von Hand zu Hand, und manche Zuschauer stopften sie sich in Ärmel oder Taschen.
Die
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