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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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vollführte passende Bühnengesten, d.h. er beschaute sich die Ereignisse durch ein Glas; machte diverse juwelenbehängte, in seiner unmittelbaren Umgebung malerisch drapierte Mätressen auf dies und jenes aufmerksam; streckte sein Szepter vor, um seine Truppen zum Angriff zu befehlen; stieg von seinem Thron herab, um verwundeten Offizieren, die auf Tragen gebracht wurden, ein paar freundliche Worte zu sagen; und stand in Momenten der Krise auf und nahm eine gewichtige, herausfordernde Pose ein, während er eine feste Hand ausstreckte, um seine zittrigen femmes zu beruhigen. Auch für die Rolle des d’Artagnan hatte man einen Schauspieler engagiert. Da jedermann wusste, was mit ihm passieren würde, bekam er, als er vorgestellt wurde, den meisten Applaus – zur deutlichen Verstimmung des (echten) Herzogs von Monmouth. Wie auch immer: Auf den Wällen von »Maastricht« wurden malerisch Kanonen abgefeuert, und auf den Zinnen nahmen »Holländer« trotzige Posen ein, was unter den Zuschauern einen frisson von rechtschaffenem Zorn hervorrief (wie konnten es diese unverschämten Holländer wagen, sich zu verteidigen) – der sich rasch in patriotische Leidenschaft verwandelte, als auf ein Signal von »Ludwig XIV.« hin Monmouth und Churchill einen Angriff die Schräge der Lünette hinauf führten. Nach kurzer, mitreißender Fechterei und reichlichem Verspritzen von Bühnenblut pflanzten sie auf der Brüstung nebeneinander eine französische und eine englische Flagge auf, gaben »d’Artagnan« die Hand und wechselten alle möglichen artigen und respektvollen Gesten mit dem »König« auf seinem Hügel.
    Es gab Ovationen. Daniel konnte nichts anderes hören, aber er sah unmittelbar vor sich eine Verrenkung der merkwürdigsten Art: Ein junger Mann in strenger dunkler Kleidung, der vor ihm gestanden und ihm mit einer Art Pilgerhut die Sicht versperrt hatte, drehte sich um, spreizte die Gliedmaßen wie ein zerquetschtes Insekt, ließ den Kopf nach hinten auf seinen weißen Kragen sinken, streckte die Zunge heraus und verdrehte die Augen. Er machte sich über die Pose mehrerer »holländischer« Verteidiger lustig, die nun oben auf der Lünette hors de combat waren. Er gab kein sehr hübsches Bild ab. Irgendetwas Schlimmes war mit seinem Gesicht passiert: irgendeine dermatologische Katastrophe an den Wangen.
    Hinter ihm war ein Szenenwechsel im Gange: Die toten Verteidiger erstanden wieder auf und eilten hinter den Wall, um sich auf den nächsten Akt vorzubereiten. Auch der Mann vor Daniel gewann nun sein Gleichgewicht wieder und erwies sich keineswegs als toter Holländer, sondern lediglich als junger englischer Bursche, der ziemlich sauer dreinschaute. Seine Kleidung war nicht einfach irgendeine eintönige Kluft, sondern die spezielle eintönige Kluft, wie sie heutzutage von Barkers getragen wurde. Außerdem aber ähnelte sie (nun da Daniel etwas eingehender darüber nachdachte) sehr stark der Kleidung der Pseudoholländer, die so getan hatten, als verteidigten sie Maastricht. Eigentlich hatten diese »Holländer« sehr viel eher nach englischen Dissentern ausgesehen als nach wirklichen Holländern, die (wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte) ihre alten Pilgersachen (die ohnehin von der spanischen Mode inspiriert gewesen waren) längst abgelegt hatten und sich mittlerweile wie alle anderen in Europa kleideten. Das Stück war also nicht nur eine Neuinszenierung der Belagerung von Maastricht, sondern auch eine Parabel darüber, wie gut gekleidete Roués und Streiter in den Straßen von London fade, strenge Kalvinisten überwanden!
    Die Langsamkeit, mit der sich Daniel dies alles klar machte, erboste den jungen Barker vor ihm – der den Kanonenkugelkopf und die kräftige Kinnlade eines echten Bolstrood aufwies.
    »Bist du das, Gomer?«, rief Daniel aus, als die Ovationen zu einem Getrommel durstiger Junker abgeklungen waren, die nach Bier riefen. Daniel hatte den Sohn von Knott Bolstrood als kleinen Jungen gekannt, ihn aber seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr zu Gesicht bekommen.
    Gomer beantwortete die Frage, indem er Daniel voll ins Gesicht starrte. Über seineWangen zog sich vorn, zu beiden Seiten seiner Nase, eine alte Wunde: ein Komplex aus roten Gräben und fleischigen Wällen, die sich zu dem kruden Kürzel »S.L.« formten. Diese Male waren ihm bei dem unter freiem Himmel tagenden Gericht vor dem Sessions House am Old Bailey mit einem Brandeisen beigebracht worden, kurz nachdem man ihn schuldig

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