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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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einer sicheren Zuflucht beim Großmast humpelt, um eine Bestandsaufnahme seiner Beschwerden vorzunehmen) vermutet, dass das Geschrei von unbeschuhten Piraten mit Fußangeldornen zwischen den Mittelfußknochen herrühren muss – bis er »Feuer! Feuer!« hört und, auf einen Lichtstrahl gespießt, ein Rauchwölkchen durch eine spaltbreit geöffnete Stückpforte in das Geschützdeck eindringen sieht. Sofort lässt ihn irgendein Instinkt seine blauen Flecken und Verstauchungen vergessen – er saust, behände wie nur ein achtjähriger Pulverjunge, die letzte Treppe hinauf in das von Segelschatten getüpfelte Sonnenlicht, wo er mit Vergnügen Musketenkugeln riskieren wird.
    Aber es ist die Piratensloop, nicht die Minerva, die brennt. Überall auf der Steuerbordhälfte des Schiffes erschlaffen Leinen. Jede endet in einem rostigen Enterhaken, der in einer Webeleine oder einer Reling festsitzt. Die Piraten schneiden sich los!
    Nun erfolgt ein allgemeines Hinüberstürmen von Männern auf die Backbordseite, wo ein Walboot sie noch immer belästigt. Die Minerva rollt auf einer See in diese Richtung. Vom Schwanken des Rumpfes nicht länger verdeckt, kommt das Walboot in Sicht, und sofort feuern zwanzig Musketen und Donnerbüchsen von oben hinein. Daniel bekommt das Resultat – entsetzlich – nur flüchtig zu sehen, dann rollt die Minerva nach Steuerbord und entzieht es dem Blick.
    Die Männer werfen ihre Waffen in Kästen und erklettern die Wanten, dies auf Kommando von van Hoek, der auf dem Poopdeck steht und in einen glänzenden Trichter aus gehämmertem Messing bellt. Es sind noch reichlich Männer unter Deck, die hier einen Beitrag leisten könnten, aber sie kommen nicht nach oben. Daniel, der allmählich dahintersteigt, worauf es beim Kampf gegen Piraten ankommt, begreift, dass van Hoek die wahre Stärke seiner Mannschaft vor Teach verbergen will.
    Sie sind seit über einer Stunde vor einem Nordwind gesegelt (der allerdings ein paar Strich westwärts gedreht zu haben scheint). Der südliche Ausläufer von Cape Cod liegt genau voraus und versperrt ihnen den Weg. Allerdings würde die Minerva schon lange, ehe sie das Ufer erreichte, in grobem, braunem Sand auf Grund laufen. Also müssen sie nun drehen und beginnen, sich gegen den Wind in Richtung offener Atlantik vorwärtszuarbeiten. Diese einfachen Begriffe – »drehen«, zum Beispiel – bezeichnen Prozeduren, die so kompliziert und traditionsverhaftet sind wie die Einsetzung eines neuen Papstes. Große, kräftige Männer laufen Richtung Bug: die Fockrah-Losmacher und -Einroller und die Focksegel-Losmacher und -Berger. Sie nehmen Positionen auf dem Vorderdeck ein oder klettern auf den Bugspriet hinaus, machen jedoch höflich den drahtigen Vorbramleuten Platz, die ihren mühsamen Aufstieg in die Fock beginnen, um die Toppsegel und alles am Fockmast Höhergelegene zu bedienen. Es ist ein widerborstiges, wirres Dickicht nautischer Details. Als sähe man fünfzig Anatomen zu, die gleichzeitig fünfzig verschiedene Tiere sezieren – ein Vorgang, wie er Daniel noch vor einem halben Jahrhundert fasziniert, zu einem solchen Leben verlockt, zum Kapitän gemacht haben würde. Doch wie ein Kapitän, der angesichts allzu starken Windes die Segel refft und streicht, damit sein Schiff nicht auf die Untiefen treibt, ignoriert er das Ganze so weit irgend möglich und versucht lediglich, das Geschehen in groben Zügen zu begreifen: Die Minerva dreht nach dem Wind hin. In ihrem Kielwasser, eine Meile achteraus, liegt die Sloop mit flatternden Segeln, sodass das kleine Schiff keine Fahrt mehr macht und langsam nach Lee abtreibt, während die Piraten versuchen, mit wassergetränkter Leinwand Flammen auszuschlagen, ohne in eine der Fußangeln zu treten. Mehrere Meilen nördlich davon bilden vier weitere Schiffe in der Bucht eine Linie und warten.
    Ein Schauder aus Luven und Flattern durchläuft die Takelage der Minerva, als sämtliche Segel ihre Beziehung zum Wind ändern, dann, wie von den Seeleuten vorausgesehen, strafft sich alles jäh, und sie läuft mit Nordostkurs so hart am Wind, wie es irgend geht. Nur wenige Minuten später ist sie querab an die versengte Sloop herangekommen, die mittlerweile eher dampft als raucht und Segel beizusetzen versucht. Es ist offensichtlich, dass Fußangeln und herumschwirrende Porzellanscherben die Mannschaft völlig durcheinander gebracht haben, so dass kein Mensch weiß, was er wann tun soll. Die Manöver der Sloop sind daher wenig schlüssig.
    Um

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