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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Pourquoi non? Mit Hilfe einer Maschine lässt sich die Wahrheit erfassen, als wäre sie auf Papier abgebildet.«
    »Aber es ist dennoch kein Denken. Denken ist das, was Engel tun – eine Eigenschaft, die Gott dem Menschen verleiht.«
    »Und wie, glaubt Ihr, verleiht sie uns Gott?«
    »Ich maße mir nicht an, das zu wissen, Sir!«
    »Wenn Ihr das Gehirn eines Menschen nehmt und destilliert, könnt Ihr dann eine geheimnisvolle Essenz daraus extrahieren – die Präsenz Gottes auf Erden?«
    »Die Alchimisten nennen sie das philosophische Merkur.«
    »Oder würde Hooke, wenn er mit einem ausreichend starken Mikroskop in das Gehirn eines Menschen spähte, das Ineinandergreifen winziger Zahnrädchen sehen?«
    Daniel sagte nichts. Leibniz hatte seinen Schädel zur Implosion gebracht. Die Zahnrädchen waren verklemmt, das philosophische Merkur tröpfelte ihm zu den Ohren hinaus.
    »Was die Schneeflocken angeht, habt Ihr Euch bereits gegen Newton auf die Seite von Hooke geschlagen – darf ich also annehmen, dass Ihr im Hinblick auf Gehirne dieselbe Position einnehmt?«, fuhr Leibniz, nun mit übertriebener Höflichkeit, fort.
    Daniel starrte eine Weile zum Fenster hinaus auf einen weit entfernten Punkt. Irgendwann kehrte sein Bewusstsein in das Kaffeehaus zurück. Er schaute, ein wenig verstohlen, auf die Rechenmaschine. »Es gibt eine Stelle in den Micrographia, wo Hooke beschreibt, wie Fliegen um Fleisch, Schmetterlinge um Blumen, Mücken um Wasser schwärmen – und damit den Anschein eines vernunftbegabten Verhaltens erwecken. Aber er glaubt, das alles lasse sich auf innere Mechanismen zurückführen, ausgelöst von den speziellen Dünsten, die von Fleisch, Blumen et cetera aufsteigen. Mit anderen Worten, er glaubt, dass diese Geschöpfe ebenso wenig vernunftbegabt sind wie eine Falle, bei der ein Tier, das ein Stück Köder ergreift, an einer Schnur zieht, die einen Schuss auslöst. Ein Wilder, der beobachtet, wie die Falle das Tier tötet, könnte annehmen, sie wäre vernunftbegabt. Aber nicht die Falle ist vernunftbegabt – sondern der Mensch, der sie ersonnen hat. Wenn nun Ihr – der ingeniöse Dr. Leibniz – eine Maschine ersinnt, die den Eindruck erweckt, sie denke – denkt sie dann wirklich, oder reflektiert sie lediglich Euren Genius?«
    »Ihr hättet genauso gut fragen können: Denken wir? Oder reflektieren wir lediglich Gottes Genius?«
    »Angenommen, ich hätte das gefragt, Herr Doktor – wie würde Eure Antwort lauten?«
    »Meine Antwort, Sir, lautet, sowohl als auch.«
    »Sowohl als auch? Aber das ist unmöglich. Es muss das eine oder das andere sein.«
    »Ich bin nicht Eurer Meinung, Mr. Waterhouse.«
    »Wenn wir bloße Mechanismen sind, die von Gott aufgestellten Regeln folgen, dann sind alle unsere Handlungen prädestiniert, und wir denken nicht eigentlich.«
    »Aber Mr. Waterhouse, Ihr seid von Puritanern großgezogen worden, die an die Prädestination glauben.«
    »Großgezogen wurde ich von ihnen, ja...«, sagte Daniel und ließ den Satz in der Schwebe.
    »Ihr erkennt die Prädestinationslehre nicht mehr an?«
    »Sie stimmt nicht recht mit meinen Beobachtungen der Welt zusammen, wie es sich für eine gute Hypothese gehört«, seufzte Daniel. »Mittlerweile verstehe ich, warum Newton sich für den Weg der Alchimie entschieden hat.«
    »Wenn Ihr sagt, er habe sich für diesen Weg entschieden, so deutet Ihr damit an, dass er einen anderen verworfen haben muss. Heißt das, Euer Freund Newton ist der Vorstellung eines mechanisch bestimmten Gehirns nachgegangen und hat sie verworfen?«
    »Mag sein, dass er ihr nachgegangen ist, aber nur in seinen Träumen und Alpträumen.«
    Leibniz hob die Augenbrauen und starrte ein Weilchen in das Gewirr aus Töpfen und Tassen auf dem Tisch. »Das ist eines der beiden großen Labyrinthe, in das der menschliche Verstand gelockt wird: die Frage des freien Willens im Gegensatz zur Prädestination. Ihr seid dazu erzogen worden, an Letztere zu glauben. Ihr habt sie verworfen – was ein großes geistiges Ringen gewesen sein muss – und seid zum Denker geworden. Ihr habt Euch eine moderne, mechanistische Philosophie zu Eigen gemacht. Doch nun scheint Euch ebendiese Philosophie zur Prädestination zurückzuführen. Es ist überaus schwierig.«
    »Aber Ihr behauptet, von einer dritten Möglichkeit zu wissen, Herr Doktor. Davon würde ich gern erfahren.«
    »Und ich gebe gern Auskunft darüber«, sagte Leibniz, »aber jetzt muss ich mich von Euch verabschieden und zu meinen

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