Quicksilver
geräumig, Daniel dagegen empfindet einen schmerzlichen Mangel an Handgriffen – d.h. er legt mit dem Rollen des Schiffes eine größere Entfernung stolpernd zurück und gewinnt dabei an Tempo, ehe er gegen etwas prallt, das groß genug ist, um ihn aufzuhalten. Jedenfalls gelangt er zu den Fenstern und blickt in den Zog der Minerva hinab. Sie hat zwar einen, der aber verglichen mit dem zum Wind liegenden Schoner kaum der Rede wert ist. Die Bernoullis hätten ihren Spaß damit -
Von der Leeseite her nähert sich ihnen außerdem eine Ketsch auf ganz ähnliche Weise, wie das der Schoner von der Windseite her tut, und Daniel ist sich ziemlich sicher, dass die Ketsch nur ganz wenig Sog hat. Er ist sich sicher, dass er Wasseranker gesehen hat, die sie hinter sich herschleppt. Die Minerva segelt so hart am Winde, wie es nur geht – sie kann nach Lee abfallen, aber nicht noch weiter in den Wind drehen. Da die Ketsch leewärts liegt – in Windrichtung von der Minerva -, geriete die Minerva, wenn sie vom Wind abfiele, geradewegs in Reichweite des Musketenfeuers und der Enterhaken, die auf den Decks und Kampfstationen der Ketsch fraglos schon bereitgemacht werden. Doch dank ihrer Schonerbesegelung kann die Ketsch ohnehin härter am Wind segeln. Selbst wenn die Minerva also ihren Kurs hält, wird die Ketsch imstande sein, ihr den Weg abzuschneiden und sie auf den tief im Wasser liegenden (weil schwer bewaffneten) Schoner zuzutreiben.
Aus alledem ergibt sich Daniels zweiter Grund dafür, dass er sich in diesen Raum begeben hat: Er entfernt sich damit so weit von den Kampfhandlungen, wie es nur möglich ist, ohne über Bord zu springen. Aber er findet den gewünschten Trost nicht, weil er von hier aus zwei weitere Piratenschiffe sichtet, die sich ihnen von achtern nähern, und sie machen einen größeren und besseren Eindruck als die anderen.
Eine Explosion, gefolgt von einer zweiten, dann ganz viele auf einmal – offensichtlich ein geordneter Vorgang. Daniel lebt noch, die Minerva schwimmt noch. Er reißt die Tür zum Geschützdeck auf, aber dort ist es still und dunkel, und die Kanoniere haben sich allesamt um die Geschütze auf der Backbordseite geschart – von denen keines abgefeuert worden ist. Es müssen also die Karronaden auf dem Oberdeck gewesen sein, die ihre Eisenschrottladungen verschossen haben.
Daniel dreht sich um und blickt zum Fenster hinaus, wo er die Ketsch auf der Leeseite achteraus zurückfallen sieht. 32 Sie ist allerdings nicht mehr als Ketsch erkennbar – sondern nur noch ein mit verheddertem, schlaffem Tauwerk und frisch gesplittertem hellem Holz behäufter Rumpf. Eines ihrer Geschütze blitzt auf, und etwas Schreckliches kommt daraus hervor und fliegt – groß und sich ausbreitend – direkt auf ihn zu. Eher aus einem Schwindelgefühl als aus einem bewussten Willensakt heraus lässt er sich fallen. Von einer Wand aus Schrotkugeln getrieben, saust sämtliches Glas sämtlicher Fenster auf ihn zu. Nur einiges davon trifft ihn im Gesicht, und nicht in die Augen – mehr Glück, als es sich ein Naturphilosoph leidlich erklären kann.
Die Tür ist entweder durch die Schrotladung oder durch seinen rückwärts fallenden Körper abermals aufgerissen worden, sodass er nun halb auf dem Geschützdeck liegt. Plötzlich wärmt ein Strahlen seine fest geschlossenen Augenlider. Es könnte sich um einen Engelschor oder eine Schwadron flammender Teufel handeln, aber an solches Zeug glaubt er nicht. Es könnte auch das Pulvermagazin der Minerva sein, das gerade explodiert – aber das wäre mit lauten Geräuschen verbunden, und die einzigen Geräusche, die er hört, sind das Knirschen und Rumpeln von Geschützlafetten, die vorwärts gezogen werden. Er geht ein großes Risiko ein und schlägt die Augen auf.
Sämtliche Stückpforten auf der Backbordseite sind gleichzeitig geöffnet und sämtliche Kanonen ausgefahren worden. Kanoniere zerren an Flaschenzügen und schwenken ihre Geschütze hierhin und dahin – andere wuchten die Hinterteile der Kanonen mit Stemmeisen hoch und klopfen Keile darunter – es finden, mit anderen Worten, ebenso viele fieberhafte Vorbereitungen statt wie für eine königliche Hochzeit. Dann schafft man Feuer herbei, das Rollen des Schiffes wird sorgfältig kalkuliert, und Daniel – der arme Daniel denkt nicht daran, sich die Ohren zuzuhalten. Er hört ein, zwei Kanonenschüsse, ehe er taub wird. Dann sieht er nur noch ein vier Tonnen schweres Eisenrohr nach dem anderen leicht wie einen
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