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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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zugestanden, dass Euer Verstand einen Löffel nicht unmittelbar handhaben kann – er muss stattdessen, innerhalb seiner selbst, ein Symbol des Löffels handhaben. Gott könnte den Löffel unmittelbar handhaben, und das würden wir dann Wunder nennen. Ein geschaffener Verstand jedoch kann das nicht – er braucht ein passives Element, durch das er handeln kann.«
    »Den Körper.«
    »Ja.«
    »Aber Ihr sagt, dass Cogitatio und Berechnung dasselbe sind – in der philosophischen Sprache würde ein einziges Wort für beides genügen.«
    »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sie ein und dasselbe sind.«
    »Aber Eure Maschine nimmt Berechnungen vor. Und das zwingt mich zu der Frage, an welchem Punkt sie mit dem unkörperlichen Prinzip des Denkens erfüllt wird. Ihr sagt, Cogitatio durchdringt den Körper und ordnet ihn irgendwie zu einem mechanischen System, das handlungsfähig ist. Das will ich Euch vorläufig zugestehen. Aber bei der Rechenmaschine zäumt Ihr das Pferd von hinten auf – Ihr konstruiert ein mechanisches System in der Hoffnung, dass es von oben mit Geist erfüllt wird – wie die Heilige Jungfrau. Wann erfolgt denn Mariä Verkündigung – in dem Moment, in dem Ihr das letzte Zahnrad anbringt? Oder wenn Ihr die Kurbel dreht?«
    »Ihr nehmt alles zu wörtlich«, sagte Leibniz.
    »Aber Ihr habt mir gesagt, dass Ihr keinen Konflikt seht zwischen der Vorstellung, dass der Verstand ein mechanisches Gerät ist, und dem Glauben an den freien Willen. Wenn das so ist, muss es einen Punkt geben, an dem Eure Rechenmaschine aufhört, eine Ansammlung von Zahnrädern zu sein, und zu dem Körper wird, in dem sich ein Engelsverstand inkarniert hat.«
    »Das ist eine falsche Dichotomie!«, protestierte Leibniz. »Ein unkörperliches Prinzip allein verhülfe uns nicht zu einem freien Willen. Wenn wir gelten lassen – und das müssen wir -, dass Gott allwissend ist und im Voraus jedes Ereignis kennt, das in der Zukunft passiert, dann weiß Er auch, was wir tun, bevor wir es tun, und deshalb kann man – selbst wenn wir Engel sind – nicht sagen, wir hätten einen freien Willen.«
    »Eben das hat man mir immer in der Kirche beigebracht. Die Aussichten für Eure Philosophie scheinen also trübe, Herr Doktor – der freie Wille scheint aus theologischen wie aus naturphilosophischen Gründen unhaltbar.«
    »Das sagt Ihr, Mr. Waterhouse – dabei stimmt Ihr mit Hooke darin überein, dass es einen geheimnisvollen Einklang zwischen dem Verhalten der Natur und der Arbeitsweise des menschlichen Verstandes gibt. Warum ist das wohl so?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Herr Doktor. Es sei denn, alle Materie ist, wie die Alchimisten behaupten, von demselben philosophischen Quecksilber durchtränkt.«
    »Eine Hypothese, die keiner von uns schätzt.«
    »Wie lautet denn Eure Hypothese, Herr Doktor?«
    »Wie zwei Arme einer Schneeflocke sind Geist und Materie aus einem gemeinsamen Zentrum hervorgegangen – und obwohl sie sich eigenständig und ohne Verbindung zueinander entwickelt haben – ein jedes nach seinen eigenen inneren Regeln -, stehen sie dennoch in vollkommener Harmonie miteinander und teilen die gleiche Form und Struktur.«
    »Das ist ziemlich metaphysisch«, war alles, was Daniel darauf entgegnen konnte. »Was ist denn das gemeinsame Zentrum? Gott?«
    »Gott hat die Dinge von Anbeginn an so geordnet, dass der Geist die Natur verstehen kann. Aber Er hat es nicht dergestalt getan, dass Er sich fortwährend in die Entwicklung des Geistes und die Entfaltung des Universums eingemischt hat... vielmehr hat Er das Wesen von Geist und Natur so angelegt, dass sie von Anbeginn an harmonierten.«
    »Ich besitze also vollkommene Handlungsfreiheit... aber Gott weiß im Voraus, was ich tun werde, weil es meinem Wesen entspricht, in Harmonie mit der Welt zu handeln, und Gott an dieser Harmonie teilhat.«
    »Ja.«
    »Eigenartig, dass wir dieses Gespräch führen, Herr Doktor, denn in den letzten Tagen war mir zum ersten Mal in meinem Leben zumute, als böten sich mir bestimmte Möglichkeiten, die ich ergreifen kann, wenn ich mich dafür entscheide.«
    »Ihr hört Euch an wie jemand, der einen Gönner gefunden hat.«
    Die Vorstellung von Roger Comstock als einem Gönner ließ Daniel leicht schlucken. Aber er konnte Leibniz’ Erkenntnis nicht bestreiten. »Vielleicht.«
    »Das freut mich um Euretwillen. Der Tod meines Gönners lässt mir sehr wenig Möglichkeiten.«
    »Es muss doch in Paris irgendeinen Adligen geben, der Euch zu

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