Quicksilver
Krieg auf Nachricht vom Fall Hollands.
Und während man wartete, musste man sich mit kleineren Meldungen begnügen, wie sie ab und zu von See her eingingen. Ganz London trug diese Gerüchte weiter und gab sich auf wichtigtuerische Weise den Anschein, als reagierte es darauf, wie Schauspieler, die eine Schlacht oder ein Unwetter beobachten, von denen es heißt, sie fänden hinter der Bühne statt.
Merkwürdigerweise – oder vielleicht auch nicht – bestand für die meisten Londoner der einzige Trost darin, ins Theater zu gehen, wo sie im Dunkeln sitzen und zusehen konnten, wie ihr eigenes Verhalten auf sie selbst zurückgespiegelt wurde. In fremder Wäsche war seit seiner Premiere am Trinity College sehr populär geworden. Das Stück musste in Roger Comstocks Theater aufgeführt werden, nachdem die ersten beiden Spielstätten aufgrund von Beurteilungsfehlern der Pyrotechniker in Flammen aufgegangen waren. Daniels Aufgabe bestand darin, Blitz, Donner und den Tod von Lord Brimstone durch einen Sprengstoffunfall zu simulieren, ohne Rogers Kapitalanlage niederzubrennen. Er erfand eine neue Donnermaschine, bestehend aus einer Kanonenkugel, die in einem Holzfass eine archimedische Schnecke hinabrollte, und er missbrauchte seine Privilegien in der weltweit führenden alchimistischen Forschungsanstalt, um eine neue Variante von Schießpulver zu entwickeln, die einen grelleren Blitz und einen leiseren Knall erzeugte. Die pyrotechnischen Effekte nahmen ein paar Minuten zu Beginn des Stückes in Anspruch. Den Rest der Zeit saß er dann hinter der Bühne und sah Tess zu, die ihn jedes Mal blendete wie eine Hand voll Blitzpulver, das direkt vor seiner Nase losging, und dafür sorgte, dass sich sein Herz wie eine ramponierte Kanonenkugel anfühlte, die eine endlose hohle Schraube hinabrollte. König Charles kam häufig, um seiner Nellie zuzusehen, wie sie ihre hübschen Lieder sang, und so fand Daniel einen gewissen Trost – oder wenigstens ein gewisses Amüsement – in dem Bewusstsein, dass sich der König und er die endlose Warterei auf die gleiche Weise verkürzten: indem sie die Wangen hübscher Mädchen betrachteten.
Die kleineren Nachrichten, die eingingen, während sie auf die große warteten, nahmen zunächst unterschiedliche Formen an, schienen aber im weiteren Fortgang des Krieges hauptsächlich aus Todesanzeigen zu bestehen. Es war nicht ganz so wie das Leben in London während der Pest, aber Daniel musste sich mehr als einmal zwischen zwei Beerdigungen entscheiden, die zur selben Zeit stattfanden. Wilkins war der Erste gewesen. Es folgten viele weitere, als hätte der Bischof von Chester eine Mode ins Leben gerufen.
Richard Comstock, der älteste Sohn von John und das Vorbild für den beherzten, wenn auch beschränkten Eugene Stopcock in Wäsche, befand sich auf einem Schiff einer Flotte, die bei Solebay unter den Geschützen von Admiral de Ruyter zugrunde ging. Zusammen mit Tausenden von anderen Engländern fand er ein feuchtes Grab. Mittlerweile konnte man viele Überlebende auf blutigen Stümpfen durch London humpeln oder an Straßenecken mit Blechtassen klappern sehen. Zu seiner Verblüffung bekam Daniel eine Einladung zur Beerdigung. Natürlich nicht von John, sondern von Charles, Johns viertem und mittlerweile einzigem noch verbliebenem Sohn (die anderen beiden waren in jungen Jahren an den Blattern gestorben). Nach seiner Zeit als Laboratoriumsgehilfe in Epsom während des Pestjahres hatte sich Charles in Cambridge immatrikuliert, wo Daniel ihn als Tutor betreut hatte. Er war auf dem besten Wege gewesen, ein fähiger Naturphilosoph zu werden. Doch nun war er einziger Spross einer bedeutenden Familie und konnte nie mehr etwas anderes sein, es sei denn, die Familie verlor ihre Bedeutung oder er seine Zugehörigkeit zu ihr.
Vor versammelter Gemeinde stand John Comstock auf und sagte: »Der Holländer übertrifft uns an Fleiß und an allem anderen außer dem Neid.«
Eines Tages schloss König Charles die Börse, was auf das Eingeständnis hinauslief, dass das Land pleite war und die Krone nicht nur ihre Schulden nicht begleichen, sondern noch nicht einmal Zinsen dafür bezahlen konnte. Binnen einer Woche war Daniels Onkel Thomas Ham, Viscount Walbrook, tot – ob er an gebrochenem Herzen starb oder Selbstmord beging, wusste nur Tante Mayflower -, aber es machte kaum einen Unterschied. Sein Tod führte zur theatralischsten aller Szenen, die Daniel in jenem Jahr in London miterlebte (möglicherweise mit
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