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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Logischen Apparat zu bauen. Es hat nicht geklappt. Hier träumt jeder technisch Begabte von Dampfmaschinen. Lächerlich! Was ist gegen Wasserräder einzuwenden? Es gibt hier reichlich Flüsse. Seht nur, genau zwischen Euren Füßen verläuft ein kleiner!«
    »Für die jungen Leute sind Maschinen natürlich interessanter.«
    »Das braucht Ihr mir nicht zu sagen. Zu meiner Studentenzeit war ein Prisma ein Wunder. Bin mit Isaac nach Stourbridge zum Jahrmarkt gegangen, um welche zu kaufen – kleine, in Samt eingewickelte Wunder. Haben monatelang damit gespielt.«
    »Das ist mittlerweile weithin bekannt.«
    »Heute zieht es die Burschen gleichzeitig in alle Richtungen, wie einen Gefangenen, der gevierteilt wird. Oder geachtelt oder gesechzehntelt. Ich sehe es ja schon bei dem jungen Ben da draußen, und mit meinem Sohn wird es bald genauso gehen. ›Soll ich Mathematik studieren? Euklidische oder kartesische? Den newtonschen oder den leibnizschen Kalkül? Oder soll ich die Laufbahn des Empirikers beschreiten? Heißt es dann Tiere sezieren oder Kräuter bestimmen oder in Tiegeln seltsame Substanzen herstellen? Kugeln schiefe Ebenen hinunterrollen lassen? Mit Elektrizität und Magneten herumspielen?‹ Was habe ich dagegen in meiner Hütte zu bieten, was sie interessieren könnte?«
    »Könnte dieses fehlende Interesse damit zusammenhängen, dass jeder weiß, dass das Projekt von Leibniz ersonnen wurde?«
    »Ich mache es nicht auf seine Weise. Er hatte vor, zur Darstellung der binären Zahlen Kugeln zu verwenden, die Rinnen hinabrollen, und sie zur Durchführung der logischen Operationen mechanische Tore passieren zu lassen. Genial, aber nicht sehr praktisch. Ich benutze Stößelstangen.«
    »Unwesentlich. Ich frage noch einmal: Könnte Eure fehlende Popularität hierzulande damit zu tun haben, dass alle Engländer glauben, Leibniz sei ein Schurke – ein Plagiator?«
    »Das Gespräch hat eine ungewöhnliche Wendung genommen, Mr. Root. Haltet Ihr mit etwas hinter dem Berg?«
    »Nur ein bisschen.«
    »Ihr und Eure kontinentalen Winkelzüge.«
    »Es ist nur so, dass der Disput um die Priorität bösartige Züge angenommen hat.«
    »Ich wusste, dass das passieren würde.«
    »Ich glaube, Ihr macht Euch keinen Begriff davon, wie unerfreulich er ist.«
    »Und Ihr macht Euch keinen Begriff davon, wie gut ich Sir Isaac kenne.«
    »Ich will damit sagen, dass die Auswirkungen dieses Disputs womöglich bis hierher, bis in diesen Raum reichen und Eure (verzeiht mir, wenn ich es erwähne) Einsamkeit und schleppenden Fortschritte erklären könnten.«
    »Lächerlich!«
    »Habt Ihr die neuesten Flugschriften gesehen, die in Europa umherschwirren, anonym, undatiert, ja sogar ohne Druckerzeichen? Die anonymen Kritiken, die wie Landminen in den Journalen der Gelehrten platziert werden? Die plötzlichen Entlarvungen bisher ungenannter ›führender Mathematiker‹, die gezwungen werden, Meinungen anzuerkennen oder zu bestreiten, die sie in privater Korrespondenz schon lange verbreitet haben? Große Geister, die in jeder anderen Ära Entdeckungen von kopernikanischer Bedeutung machen würden, darauf beschränkt, als Handlanger und gedungene Totschläger für die beiden Hauptwidersacher zu agieren? Neue und verdientermaßen obskure Journale, die plötzlich in den obersten Rang gelehrter Auseinandersetzung befördert werden, bloß weil irgendein Lakai auf ihren hinteren Seiten seinen neuesten Dolchstoß hat drucken lassen? Über den Kanal hin und her fliegende Problemstellungen, eine jede in der teuflischen Absicht ersonnen, zu beweisen, dass Leibniz’ Kalkül das Original und Newtons nur eine minderwertige Fälschung ist oder umgekehrt? Mit vorgehaltenem Degen zur Debatte gestellte Reputationen -«
    »Nein«, sagt Daniel. »Ich bin hierher gezogen, um den europäischen Intrigen zu entgehen.« Sein Blick senkt sich auf den Brief. Enoch kann nicht umhin, ihn ebenfalls anzublicken.
    »Es ist eine reine Laune des Schicksals«, sagt Enoch, »dass Gottfried, dem es an finanziellen Mitteln fehlte und der eine Position anstrebte – irgendetwas, das ihm die simple Freiheit zu arbeiten gewähren würde -, am Hofe eines obskuren deutschen Kurfürsten landete. Der dank eines intrikaten und langwierigen Gespinsts von Heiraten, Verbindungen,Todesfällen, religiösen Bekehrungen, Revolutionen, Fehlgeburten, Enthauptungen, angeborenen Schwachsinns, Exkommunikationen et cetera unter Europas Elite – und vor allem dank des Ablebens sämtlicher siebzehn

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