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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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die Störung.«
    »Keine Ursache.« Endlich setzt er sich wieder und nimmt seine Tätigkeit von vorhin wieder auf: Er fährt unter ungeheuren Niesgeräuschen mit einer langen Feile auf einem Stück Metall hin und her. »Es ist eine willkommene Zerstreuung, Euch so unerwartet, so unwahrscheinlich gut erhalten vor mir erscheinen zu sehen«, ruft er über das Kreischen der Feile und das Tönen des Werkstücks hinweg.
    »Unverwüstlichkeit ist ihrem Gegenteil vorzuziehen – aber nicht immer vorteilhaft. Unentwegt schicken mich weniger rüstige Menschen auf Botengänge.«
    »Dazu noch langwierige und langweilige.«
    »Euch so produktiv beschäftigt und bei so guter Gesundheit zu sehen wiegt die Gefahren, die Unannehmlichkeiten und die Langeweile der Reise mehr als auf.« Oder so ähnlich. Das ist der höfliche Teil des Gesprächs, der wahrscheinlich nicht sehr viel länger dauern wird. Hätte er das Kompliment erwidert, hätte Daniel nur verächtlich geschnaubt, denn man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass er im gleichen Sinne wie Enoch gut erhalten ist. Sein Aussehen entspricht seinem Alter. Aber er ist drahtig, mit klaren, himmelblauen Augen, und weder zittern ihm Kinn oder Hände, noch stockt ihm die Sprache, sobald er sich von der Verblüffung, Enoch (oder vielleicht überhaupt jemanden) in seinem Institut zu sehen, erholt hat. Daniel Waterhouse ist fast völlig kahlköpfig, mit einem Kranz weißer Haare, der sich an seinen Hinterkopf klammert wie vom Wind angepresster Schnee an einen Baumstamm. Er entschuldigt sich nicht für seine Barhäuptigkeit und greift auch nicht nach einer Perücke – ja, er scheint gar keine zu besitzen. Seine Augen sind groß und zu einem starren Blick aufgerissen, der wahrscheinlich nicht dazu beiträgt, seinen Ruf zu verbessern. Sie flankieren eine Falkennase, die den schlitzartigen Mund eines Geizhalses, der auf eine suspekte Münze beißt, fast völlig verbirgt. Seinen länglichen Ohren entsprießt ein Strahlenkranz feiner Härchen. Das Ungleichgewicht zwischen seinen Aufnahme- und seinen Ausgabeorganen scheint darauf hinzudeuten, dass er mehr sieht und weiß, als er sagt.
    »Seid Ihr unter die Kolonisten gegangen, oder -«
    »Ich bin hier, um mit Euch zu sprechen.«
    Die Augen starren ihn an, wissend und ruhig. »Ein Höflichkeitsbesuch also! Wie heroisch – wo doch ein einfacher Briefwechsel mit sehr viel weniger Seekrankheit, Piraten, Skorbut und massenhaftem Ertrinken behaftet ist -«
    »Apropos Brief – ich habe einen bei mir«, sagt Enoch und nimmt ihn heraus.
    »Riesengroßes, prächtiges Siegel. Jemand furchtbar Wichtiges muss ihn geschrieben haben. Kann gar nicht sagen, wie beeindruckt ich bin.«
    »Eine persönliche Freundin von Dr. Leibniz.«
    »Die Kurfürstin Sophie?«
    »Nein, die andere.«
    »Aha. Und was will Prinzessin Caroline von mir? Muss etwas Entsetzliches sein, sonst hätte sie nicht Euch geschickt, um mir zuzusetzen.«
    Dass er sich vorhin so hat verblüffen lassen, ist Dr. Waterhouse peinlich, und er macht es durch Gereiztheit wett. Aber das stört Enoch nicht, denn ihm scheint, als dränge hier der dreißigjährige Waterhouse, der sich in dem alten Mann verbirgt, mit Macht gegen die lockere Hautmaske, wie eine Marmorskulptur ihre Umhüllung aus Sackleinen ausfüllt.
    »Denkt es Euch eher als ein Überreden, Dr. Waterhouse! Lasst uns eine Schänke suchen und -«
    »Gewiss, wir suchen eine Schänke – aber erst, wenn ich eine Antwort habe. Was will sie von mir?«
    »Das Gleiche wie immer.«
    Dr. Waterhouse schrumpft – der innere Dreißigjährige schwindet, und er wird schlicht wieder zu einem seltsam vertraut aussehenden Alten. »Hätte es wissen müssen. Wozu ist ein heruntergekommener, alter Rechenmonadologe sonst auch zu gebrauchen?«
    »Es ist bemerkenswert.«
    »Was?«
    »Ich kenne Euch nun schon – wie lange? – dreißig oder vierzig Jahre, fast so lang, wie Ihr Leibniz kennt. Ich habe Euch in so mancher wenig beneidenswerten Klemme erlebt. Aber in dieser ganzen Zeit habe ich Euch, glaube ich, niemals jammern hören – bis eben gerade.«
    Daniel denkt eingehend darüber nach, dann lacht er tatsächlich. »Ich bitte um Vergebung.«
    »Keine Ursache.«
    »Ich dachte, meine Arbeit würde hier anerkannt. Ich würde etwas ins Leben rufen, was für Harvard das Gleiche wäre wie das Gresham’s College für Oxford. Bildete mir ein, ich würde eine Studentenschaft finden oder doch wenigstens einen Protegé. Jemanden, der mir helfen könnte, den

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