Quicksilver
Interesse zeigt. Doch lenkt ihn ansonsten überhaupt nicht – lasst ihn selbst zu Schlussfolgerungen kommen.« Enoch betrachtete die Gesichter und Diagramme an derWand und sah einige recht gelungene perspektivische Darstellungen. »Und sorgt dafür, dass er mit der Mathematik bekannt gemacht wird.«
»Ich glaube nicht, dass er die Veranlagung zu einem bloßen Rechner hat«, warnte Clarke. »Tag für Tag vor seinen Blättern zu sitzen und sich mit Logarithmentafeln, Quadratwurzeln und Kosinus abzuquälen -«
»Dank Descartes kennt die Mathematik heutzutage auch andere Verwendungszwecke«, erwiderte Enoch. »Sagt Eurem Bruder, er soll dem Knaben Euklid zeigen und ihn sich selbst zurechtfinden lassen.«
Das Gespräch mochte nicht wortwörtlich so verlaufen sein. Mit seinen Erinnerungen verfuhr Enoch genauso wie ein Schiffsführer mit seinem Takelwerk – er verspürte den Drang zu straffen, was durchhing, zu flicken, was ausgefranst war, zu kalfatern, was leckte, und zu verstauen oder über Bord zu werfen, was er nicht gebrauchen konnte. So war das Gespräch mit Clarke womöglich in sehr viel mehr Sackgassen abgeschweift, als ihm erinnerlich war. Wahrscheinlich wurde sehr viel Zeit mit Höflichkeiten vertan. Jedenfalls nahm es den größten Teil jenes kurzen Herbstages in Anspruch, denn Enoch ritt erst spät aus Grantham fort. Auf dem Weg Richtung Cambridge kam er ein weiteres Mal an der Schule vorbei. Alle Knaben waren um diese Zeit schon nach Hause gegangen, ausgenommen einer, der nachsitzen und zur Strafe seinen Namen von den diversen Fensterbänken und Stuhllehnen abschrubben und -kratzen musste, auf denen er ihn angebracht hatte.Wahrscheinlich hatte Clarkes Bruder diese Vergehen bemerkt und ihre Bestrafung bis zu dem Tag aufgeschoben, an dem der Knabe besonderer disziplinarischer Maßnahmen bedurfte.
Die schon am Nachmittag tief stehende Sonne strömte zu den offenen Fenstern hinein. Enoch hielt an der Nordwestseite der Schule an, sodass jeder, der zu ihm zurückblickte, nur einen langen Schatten mit Kapuze erblicken würde, und sah dem Knaben eine Weile bei der Arbeit zu. Die Sonne lag purpurrot im Gesicht des Knaben, das von seinen Anstrengungen mit der Scheuerbürste ohnehin schon gerötet war. Alles andere als widerwillig, schien er vielmehr voller Begeisterung damit beschäftigt, sämtliche Spuren seiner selbst von der Schule zu tilgen – als wäre diese baufällige Behausung nicht würdig, sein Zeichen zu tragen. Eine Fensterbank nach der anderen nahm er sich vor und säuberte sie von dem Namen I. NEWTON.
Newtowne, Massachusetts Bay Colony
12. OKTOBER 1713
Wie sehr sich doch die Kolonien der Engländer vermehrt und verbessert haben, und das gar in solchem Maße, dass einige, wiewohl aus Unkenntnis, zu bedenken geben, es bestehe die Gefahr, sie könnten gegen die englische Regierung aufstehen und sich zu einer eigenständigen Macht aufwerfen. Zwar ist diese Vorstellung abwegig und entbehrt jeder Grundlage, aber sie bestätigt, was ich über die tatsächliche Zunahme dieser Kolonien und den blühenden Zustand des daselbst abgewickelten Handels gesagt habe.
Daniel Defoe, A Plan of the English Commerce
Manchmal scheint es, als wandere alle Welt nach Amerika aus – auf dem Atlantik drängen sich die Segelschiffe so dicht wie Fährboote auf der Themse und fahren praktisch Furchen in die Seestraßen -, weshalb Enoch, ohne recht zu überlegen, annimmt, dass sein Erscheinen auf der Schwelle des Massachusetts Bay Colony Instituts der Technologischen Wissenschaften dessen Gründer kaum überraschen wird. Doch Daniel Waterhouse verschluckt sich beinahe an seinen Zähnen, als Enoch zur Tür hereinkommt, und zwar nicht nur deshalb, weil der Saum von Enochs Umhang einen großen, wackeligen Kartenstapel umwirft. Einen Moment lang befürchtet Enoch, es sei zu einer Art Schlagfluss gekommen und Dr. Waterhouse’ letzter Beitrag für die Royal Society nach einem Leben treuer Pflichterfüllung werde ein traumatisch gestörter Herzmuskel sein, eingelegt in einen Kristallkrug mit Spiritus. Die erste Minute ihres Zwiegesprächs verharrt der Doktor in halb sitzender, halb stehender Haltung, mit offenem Mund, die linke Hand auf dem Brustbein. Es könnte sich um die Anfänge einer höflichen Verbeugung handeln oder aber um ein hastiges Manöver, mit dem er, unter seinem Rock, ein Hemd verbergen will, das dermaßen fleckig ist, dass es dem Fleiß seiner jungen Frau ein schlechtes Zeugnis ausstellt.Vielleicht ist es aber
Weitere Kostenlose Bücher