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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ist ein Raskolnik?«
    »Da bin ich überfragt – ich weiß nur, dass sie alle Russland auf dem schnellsten Weg verlassen.«
    »Aha... und wie hast du ihn kennen gelernt?«
    »Keine Ahnung. Wurde im ›Bombe & Enterhaken‹ wach – und da lag er, an mich gekuschelt – sein Bart wie ein dicker Schal über meinen Hals geworfen.«
    Eliza erschauerte heftig. »Aber das ›Bombe & Enterhaken‹ ist doch in Dünkirchen...«
    »Ja?«
    »Wie bist du von Paris dorthin gekommen? Gab es keine Abenteuer, Verfolgungsjagden, Duelle...?«
    »Vermutlich schon. Keine Ahnung.«
    »Was ist mit der Wunde am Bein?«
    »Ich hatte das Glück, unterwegs die Dienste einer trefflichen, munteren Bande von Maden in Anspruch zu nehmen – die haben sie sauber gehalten. So ist sie ohne Zwischenfälle verheilt.«
    »Aber wie kannst du einfach die Erlebnisse einer Reise vergessen, die eine ganze Woche gedauert hat?«
    »Mein Kopf funktioniert eben jetzt so. Wie in einem Theaterstück, wo dem Publikum nur die dramatischsten Teile der Geschichte gezeigt werden und man davon ausgeht, dass die langweiligeren hinter den Kulissen passieren. Also: Ich verlasse im Galopp die Place Royale; der Vorhang fällt, es gibt eine Art Pause; der Vorhang hebt sich wieder, und ich bin in Dünkirchen, in Mr. Foots vornehmstem Schlafzimmer über dem ›Bombe & Enterhaken‹, und Jewgeni ist bei mir, und um uns herum auf dem Fußboden sind all seine Felle und Häute und Bernsteine aufgehäuft.«
    »Er ist also so etwas wie ein Warenhändler?«, fragte Eliza.
    »Kein Grund, giftig zu sein, Fräulein.«
    »Ich versuche nur herauszufinden, wie er in dieses Schauspiel hineingeraten ist.«
    »Keine Ahnung – er spricht kein Wort von irgendwas . Ich bin runtergegangen und hab dieselbe Frage Mr. Foot gestellt, dem Besitzer, einem vielseitig begabten Mann, ehemaliger Freibeuter...«
    »Von deinem Mr. Foot hast du mir schon hundertmal erzählt.«
    »Er sagte, nur ein oder zwei Wochen zuvor habe Jewgeni ein großes Beiboot in die kleine Bucht gerudert, an der das ›Bombe & Enterhaken‹ liegt.«
    »Du meinst – an Land gerudert von irgendeinem Schiff, das vor Dünkirchen Anker geworfen hatte.«
    »Nein, das ist es ja, er kam von jenseits des Horizonts . Ritt auf dem Kamm einer Woge an den Strand – zerrte das Beiboot, so weit es ging, hoch – brach auf der Schwelle des nächsten Hauses, das zufällig die alte ›Bombe‹ war, zusammen. Nun hat es Mr. Foot in den letzten paar Jahren an Kundschaft gefehlt – also schleppte er, statt ihn wie einen Fisch wieder ins Wasser zu werfen, wie er es wohl in der Blütezeit des B & E getan hätte, und weil er außerdem feststellte, das Beiboot bis zum Rand mit arktischen Kostbarkeiten gefüllt war, alles die Treppe hinauf nach oben. Zum Schluss rollte er Jewgeni selbst auf ein Ladenetz und hievte ihn mithilfe eines Flaschenzugs nach oben und durchs Fenster – er dachte nämlich, dass er, wenn er wach würde, vielleicht wüsste, wo noch mehr von diesen Dingen zu holen waren.«
    »Ja, ich kann die Geschäftsstrategie ganz deutlich sehen.«
    »Jetzt fängst du schon wieder an. Wenn du mich ausreden ließest, würdest du Mr. Foot nicht so streng beurteilen. Um den Preis vieler Stunden schweißtreibender Arbeit sorgte er für ein mehr oder minder christliches Begräbnis der Überreste -«
    » Welcher ? Bisher war nicht die Rede von Überresten .«
    »Vielleicht habe ich vergessen zu erwähnen, dass Jewgeni das Beiboot mit mehreren Kameraden teilte, die alle den Elementen zum Opfer gefallen waren -«
    »- oder vielleicht Jewgeni.«
    »Das kam mir auch in den Sinn. Da aber der liebe Gott mich mit mehr Hirn und weniger Galle ausgestattet hat als manch andere , habe ich dann erkannt, dass der Raskolnik, wenn das der Fall gewesen wäre, die Opfer über Bord geworfen hätte – vor allem nachdem sie allmählich Ekel erregend geworden waren. Mr. Foot – und, Fräulein, das erzähle ich dir bloß, um Jewgenis Namen reinzuwaschen – sagte, dass die fleischigeren Teile dieser Leichen bis auf die Knochen von den Seemöwen aufgepickt worden waren.«
    »Oder von einem hungrigen Jewgeni«, sagte Eliza, hob eine Teetasse an die Lippen, um ein gewisses triumphierendes Lächeln zu verbergen, und schaute durchs Fenster zu dem mit Pelz bekleideten Russen, der sich die Zeit vertrieb, indem er an einer groben Pfeife zog und die Widerhaken seiner Harpune mit einem Taschenwetzstein schärfte.
    »Den guten Charakter meines Raskolnik-Freundes darzustellen, wird

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