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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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offensichtlich danebenging. Der höfliche Satyr hatte Glück, noch am Leben zu sein – sie hatte seinen Kopf nur um wenige Zoll verpasst.
    Türk war, wenn auch nur für einen Moment, schreckensstarr. Dann explodierte in der Nähe auf dem Boden eine Piratengaleere aus den Raubstaaten, die von einer Woge aus Wasser-Ratten-Schlamm abwärts getrieben worden war. Etwas von dem Wasser und etwas von den Ratten ergoss sich über Türks Hals – und dann ging er los. Er versuchte zu steigen und wurde von der blutigen, aber unerschütterlichen Klaue des Satyrs niedergehalten, also bockte er – was Jack zum Glück kommen sah – und trat dann mit beiden Hinterbeinen aus. Hätte jemand hinter ihm gestanden, wäre er enthauptet worden, doch die Mitte des Ballsaals war inzwischen zum größten Teil den Ratten überlassen worden. Noch ein paar solcher Bocksprünge, und Jack wäre abgeworfen worden. Er musste Türk rennen lassen. Aber Churchill versuchte jetzt um den Satyr herum eine zweite Hand an Türks Zaumzeug zu legen. »Das ist die allerschlimmste Gesellschaft, bei der ich je zu Gast war!«, sagte Jack, während er seinen Schwertarm wie eine Windmühle im Kreis drehte.
    »Sir, ich bin untröstlich, aber -«
    Der höfliche Satyr brachte seine Entschuldigung nicht zu Ende, da Jack einen Hieb mitten durch seinen Unterarm führte. Die Klinge ging mühelos hindurch. Die baumelnde Hand ballte sich zur Faust und umklammerte weiter das Zaumzeug, selbst als der jetzt einarmige Satyr rückwärts auf Churchill fiel. Türk verspürte Freiheit und bäumte sich auf. Jack schaute auf Churchill hinab und sagte: »Wenn du das nächste Mal eins meiner Pferde haben willst – zahl im Voraus , du Schurke!«
    Türk versuchte auf die Eingangstür loszustürmen, doch seine harten fers de cheval rutschten und scharrten auf dem Marmor, und er konnte nicht beschleunigen. Ein Seeungeheuer fiel ihm in den Weg und verlor an die hundert Ratten aus seinen zerquetschten Eingeweiden. Türk schwenkte herum und sauste auf eine Gruppe von Damen zu, die, beflügelt von der Annahme, Ratten kletterten ihre Petticoats hinauf, eine Art Tarantella vollführten. Dann, gerade als Jack überzeugt war, dass sein Schlachtross die Frauen jeden Moment unter seinen Hufen zertreten würde, schien Türk einen Weg nach draußen entdeckt zu haben, änderte die Richtung, wobei seine Hufe fast unter ihm wegrutschten, und steuerte auf eine Türöffnung in der hinteren Ecke des Ballsaals zu. Es war eine niedrige Türöffnung. Jack hatte kaum Zeit zu reagieren: Da er den Türsturz, der in der Mitte mit einem erhabenen d’Arcachon-Wappenschild 51 verziert war, auf sein Gesicht zukommen sah und ihn nicht darin verewigt haben wollte, machte er eine Rolle rückwärts und fiel vom Pferd.
    Dabei gelang es ihm, den rechten, nicht aber den linken Fuß aus dem Steigbügel zu ziehen, und so schleifte Türk ihn einfach den dahinter liegenden Flur (der einen glatten, für Jack jedoch nicht ausreichend glatten Boden hatte) entlang. Nahezu kopfüber hängend, stieß Jack sich mit der Hand, die nicht das Schwert umklammerte, verzweifelt vom Boden ab und versuchte, sich zur Seite zu ziehen, damit Türks Hufe nicht auf ihn herabstießen. Immer wieder traf seine Hand dabei auf Rücken von Ratten, die alle genau diesen Flur hinunterzufliehen schienen – womöglich von irgendeinem Geruch angezogen, der ihnen verheißungsvoll vorkam. Natürlich ließ Türk die Ratten hinter sich und traf seine eigenen Entscheidungen. Jack wusste, dass sie verschiedene Räume passierten, denn an den Türschwellen schürfte er sich Hüften und Rippen ab und erhaschte flüchtige Blicke auf die Kniebundhosen und Röcke des Dienstpersonals.
    Doch dann waren sie plötzlich in einem spärlich erleuchteten Raum, ganz allein, und Türk rannte nicht mehr. War aber ausgesprochen nervös und reizbar. Jack wackelte vorsichtig mit seinem linken Fuß. Türk zuckte zusammen, schaute ihn dann an.
    »Überrascht, mich zu sehen? Ich war die ganze Zeit über bei dir – loyaler Freund, der ich bin«, erklärte Jack. Er zog den Fuß aus dem Steigbügel und stand auf. Für weiteres neckisches Geplänkel war jedoch keine Zeit. Sie befanden sich in einem Anrichteraum. Quietschende Geräusche verkündeten das Herannahen von Ratten. Nicht weit dahinter kam das Stampfen von Stiefeln, und wo Stiefel waren, da würden auch Degen sein. Gegenüber dem Eingang, durch den sie hereingekommen waren, gab es, in die Wand eingelassen, eine verschlossene

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