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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Naturphilosophie«, sagt Daniel. »Der Verstand ist eine Maschine, eine Rechenmaschine. Das ist es, was ich glaube.«
    »So wie die, an der Ihr am anderen Ufer des Flusses baut?«
    »Zum Glück sehr viel leistungsfähiger als diese.«
    »Ihr glaubt, wenn Ihr Eure verbessert, könnte sie vollbringen, was der menschliche Verstand vollbringt? Sie könnte eine Seele haben?«
    »Wenn Ihr von einer Seele sprecht, stellt Ihr Euch etwas vor, was außerhalb und jenseits der Kurbeln und Zahnräder, der toten Materie, existiert, aus der die Maschine – sei es eine Rechenmaschine oder ein Gehirn – besteht. Daran glaube ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    Wie so viele einfache Fragen ist auch diese für Daniel schwer zu beantworten. »Warum nicht? Wahrscheinlich, weil es mich an die Alchimie denken lässt. Diese Seele, dieses zusätzliche, dem Gehirn hinzugefügte Ding, erinnert mich an die Quintessenz, die die Alchimisten fortwährend suchen: eine geheimnisvolle, übernatürliche Wesenheit, die angeblich die Welt durchdringt. Aber anscheinend finden sie partout keine. Sir Isaac Newton hat diesem Projekt sein Leben gewidmet, und er hat nichts vorzuweisen.«
    »Wenn Eure Sympathien nicht in diese Richtung gehen, will ich nicht so vermessen sein, Euch umstimmen zu wollen, jedenfalls nicht, wo es um den Gegensatz zwischen freiem Willen und Prädestination geht«, sagt Wait Still. »Aber ich weiß, dass Ihr als Knabe das Privileg hattet, zu Füßen von Männern wie John Wilkins, Gregory Bolstrood, Drake Waterhouse und vielen anderen zu sitzen, die der Unabhängigkeit zuneigten – Männern, die Gewissensfreiheit predigten. Die Kirchen als freiwillige Versammlungen im Gegensatz zu etablierten Kirchen befürworteten. Das Gedeihen kleiner Gemeinden. Die Abschaffung eines zentralen Dogmas.«
    Daniel, der es noch immer nicht recht glauben kann: »Ja...«
    Wait Still, fröhlich: »Was also soll mich davon abhalten, meiner Herde den freien Willen zu predigen?«
    Daniel lacht. »Und da Ihr nicht nur zungenfertig, sondern auch jung, stattlich und von angenehmer Erscheinung seid, bekehrt Ihr viele zu diesem Glauben – darunter, wie ich annehme, auch meine Frau?«
    Faith errötet, steht dann auf und dreht sich weg, um es zu verbergen. Im Kerzenlicht schimmert ein Stück Silber in ihrem Haar: eine Spange, geformt wie ein Merkurstab. Sie ist unter dem Vorwand aufgestanden, nach dem kleinen Godfrey zu sehen, obwohl Mrs. Goose ihn gut im Griff hat.
    In einer Kleinstadt wie Boston, so möchte man meinen, ist es unmöglich, ein Gespräch über irgendetwas zu führen, ohne belauscht zu werden. Tatsächlich ist der ganze Ort dazu angetan – die Post wird einem nicht ins Haus, sondern zur nächstgelegenen Schänke gebracht, und wenn man nicht binnen weniger Tage vorbeikommt und sie abholt, wird der Wirt sie öffnen und den gerade Anwesenden laut vorlesen. Deshalb hatte Daniel angenommen, dass Mrs. Goose die gesamte Unterredung mitanhören würde. Doch sie ist stattdessen völlig in ihre Arbeit vertieft, als wäre einen Knaben mit Geschichten zu unterhalten wichtiger als diese große Entscheidung, mit der Daniel da gegen Ende seines langen Lebens ringt.
    »Schon gut, meine Liebe«, sagt Daniel, an die Rückseite von Faith’ Mieder gewandt. »Da ich von einem Mann großgezogen wurde, der an die Prädestination glaubte, ist es mir viel lieber, mein Sohn wird von einer Vertreterin des freien Willens großgezogen.« Doch Faith geht aus dem Zimmer.
    Wait Still sagt: »Ihr... Ihr glaubt also, Gott hat es Euch vorherbestimmt, dass Ihr heute Abend nach England abreist?«
    »Nein – ich bin kein Calvinist. Nun seid Ihr verblüfft, Reverend, weil Ihr in Harvard zu viel Zeit damit verbracht habt, alte Bücher über Calvin, Erzbischof Laud und ihresgleichen zu lesen, und immer noch in den Disputen der Arminianer und Puritaner befangen seid.«
    »Was hätte ich denn lesen sollen, Herr Doktor?«, fragt Wait Still, der ein wenig zu sehr den Flexiblen herauskehrt.
    »Galilei, Descartes, Huygens, Newton, Leibniz.«
    »Den Lehrplan Eures Instituts der Technologischen Wissenschaften?«
    »Ja.«
    »Ich wusste nicht, dass Ihr auch theologische Fragen berührt.«
    »Gut gegeben – nein, nein, schon recht! Es hat mir gefallen. Es freut mich, dass Ihr Rückgrat zeigt. Ich sehe ganz deutlich, dass Ihr am Ende meinen Sohn aufziehen werdet.« Daniel meint dies in einem völlig asexuellen Sinn – er hat Wait Still vielmehr in einer Art Onkelrolle gesehen -, doch dem Erröten

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