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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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um die Reste zu durchstöbern und die Schweinerei sauber zu machen.
    Wie zwei Kometen, die aufgrund einer geheimnisvollen Fernwirkung über eine trostlose Leere hinweg voneinander angezogen werden, zog es sie über die Wiesen und Moore von Cambridge zueinander hin. Beide waren schüchtern und schwenkten deshalb auf ihren ausgedehnten Spaziergängen zunächst nur auf parallele Flugbahnen ein. Aber mit der Zeit liefen diese Linien zusammen. Isaac war so bleich wie Sternenlicht, und er wirkte so zerbrechlich, dass kein Mensch vermutet hätte, er würde so lange leben. Sein Haar war außerordentlich hell und schon jetzt von silbernen Strähnen durchzogen. Er hatte schon jetzt hervortretende fahle Augen und eine spitze Nase. Man hatte das Gefühl, in seinem Kopf spiele sich viel ab, das mit anderen zu teilen er nicht die geringste Lust hatte. Aber er war wie Daniel ein entfremdeter Puritaner mit einem heimlichen Interesse an der Naturphilosophie und einem Hass auf alles und jeden in Cambridge, und so lag es nahe, dass sie sich anfreundeten.
    Sie sorgten für einen Zimmertausch. Ein anderer Kaufmannssohn übernahm mit Freuden Daniels Zimmer, das er als einen Schritt nach oben auf der Lebensleiter betrachtete. Das College of the Holy and Undivided Trinity trennte die Klassen nicht so rigide voneinander wie andere Colleges, deshalb durften Isaac und Daniel zusammenwohnen. Sie teilten sich ein winziges Zimmer, dessen Fenster auf die Stadt ging – für Daniel eine deutliche Verbesserung gegenüber dem mit blutigen Erinnerungen belasteten Hofblick. Während des Bürgerkriegs waren Musketenkugeln durch ihr Fenster gefeuert worden, und in der Decke waren noch die Einschläge zu sehen.
    Daniel erfuhr, dass Isaac aus einer nach den Maßstäben von Lincolnshire wohlhabenden Familie stammte. Sein Vater war schon vor seiner Geburt gestorben und hatte ein durchschnittliches Freibauernerbe hinterlassen. Seine Mutter hatte bald einen mehr oder weniger gut gestellten Geistlichen geheiratet. Nach Isaacs Schilderungen schien sie ihn nicht gerade abgöttisch zu lieben. Sie hatte ihn in einer Kleinstadt namens Grantham zur Schule geschickt. Angesichts ihrer Erbschaft aus erster Ehe und dem, was ihr durch die zweite zugefallen war, hätte sie ihn ohne weiteres als Pensioner nach Cambridge schicken können. Doch aus Geiz, Trotz oder irgendeiner Feindseligkeit gegenüber Bildung im Allgemeinen hatte sie ihn stattdessen als Stipendiaten geschickt – was bedeutete, dass Isaac einem anderen Studenten als Stiefelputzer und Tischkellner dienen musste. Außerstande, ihren Sohn aus der Ferne zu demütigen, hatte Isaacs liebe Mutter dafür gesorgt, dass ein anderer Student – welcher, spielte keine Rolle – das an ihrer Stelle übernahm. Da Newton überdies offensichtlich sehr viel intelligenter war als er, fühlte Daniel sich mit dem Arrangement nicht wohl. Er schlug vor, gemeinsame Sache zu machen, das, was sie hatten, zusammenzulegen und als Gleichberechtigte miteinander zu leben.
    Zu Daniels Überraschung lehnte Isaac ab. Klaglos verrichtete er weiter Stipendiatenarbeit. Sein Leben hatte sich in jeder Hinsicht verbessert. Sie verbrachten Stunden, ja Tage miteinander in dieser Kammer, verbrauchten pfundweise Kerzen und literweise Tinte und arbeiteten sich auf getrennten Wegen durch Aristoteles. Es war das Leben, nach dem sie sich beide gesehnt hatten. Dennoch fand Daniel es seltsam, dass Isaac ihm morgens beim Ankleiden half und eine Viertelstunde oder mehr damit zubrachte, ihm das Haar zu frisieren. Ein halbes Jahrhundert später konnte sich Daniel ohne Eitelkeit erinnern, dass er ein durchaus gut aussehender junger Mann gewesen war. Sein Haar war dicht und lang, und Isaac lernte es auf eine spezielle Weise zu kämmen, sodass eine ganz bestimmte Naturwelle über Daniels Stirn zur Geltung kam. Jeden Morgen gab er keine Ruhe, bis er das geschafft hatte. Daniel ließ es sich voller Unbehagen gefallen. Schon damals hatte Isaac die Ausstrahlung eines Menschen, der gefährlich werden konnte, wenn man ihn kränkte, und Daniel spürte, dass Isaac es nicht gut aufnehmen würde, wenn er ablehnte.
    So ging es, bis Daniel eines Pfingstsonntags aufwachte und Isaac fort war. Daniel war lange nach Mitternacht schlafen gegangen, Isaac wie üblich länger aufgeblieben. Die Kerzen waren allesamt bis auf Stummel heruntergebrannt. Daniel vermutete, dass Isaac hinausgegangen war, um den Nachttopf zu leeren, aber er kam nicht zurück. Daniel ging zu dem kleinen

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