Quicksilver
Gespräch noch irgendeinen anderen Zweck als den, dass es den Wunsch in mir weckt, Euch umzubringen, Roger?«
»Ich will bloß wissen, was zum Teufel Newton eigentlich treibt.«
»Warum plagt Ihr mich dann mit diesen Fragen darüber, was’77 passiert ist?«
Roger zuckte die Achseln. »Über das Heute wollt Ihr nicht reden, also habe ich mir gedacht, ich versuche mein Glück mit dem Gestern.«
»Warum das plötzliche Interesse an Isaac?«
»Wegen De Motu Corporum in Gyrum. Halley sagt, es sei großartig.«
»Zweifellos.«
»Er sagt, es sei nur eine Skizze für ein gewaltiges Werk, das derzeit Newtons sämtliche Energien verzehre.«
»Es freut mich, dass Halley eine Erklärung für die Flugbahn seines Kometen hat, und noch mehr freut mich, dass er es übernommen hat, sich um Isaac zu kümmern und ihn zu ernähren. Was wollt Ihr von mir?«
»Halley ist von Kometenlicht geblendet«, schnaubte Roger verächtlich. »Falls Newton beschließt, die Geheimnisse der Schwerkraft und der Planetenbewegung zu enträtseln, dann ist Halley der Grund dafür egal – als Astronomen macht es ihn glücklich! Und da wir einen Flamsteed haben, der den statistischen Durchschnitt senkt, brauchen wir dringend mehr Glück in der astronomischen Zunft.«
Anno domini 1674 hatte der Sieur de St. Pierre (ein französischer Höfling, die Einzelheiten spielen keine Rolle) an irgendeiner glänzenden königlichen Soiree teilgenommen, auf der mit einem Mal Louise de Kéroualle und ihr Dekolleté über dem Rand seines Pokals in Sicht gekommen waren. Wie die meisten Männer, die sich in ihrer Gegenwart befanden, war der Sieur von einem unerklärlichen Bedürfnis gepackt worden, sie auf irgendeine Weise, ganz gleich wie, zu beeindrucken. Da er wusste, dass die Naturphilosophie am Hofe Charles’ II. groß im Schwange war, hatte er sich des folgenden Schachzugs bedient: Er hatte gesagt, das Problem der Ermittlung des Längengrades lasse sich dadurch lösen, dass man die Bewegungen des Mondes im Vergleich zu den Sternen bestimme und den Himmel gleichsam als große Uhr verwende. Dies hatte die Kéroualle im Zuge irgendeines naturphilosophischen Bettgeflüsters dem König berichtet, und Seine Majestät hatte vier Fellows der Royal Society (den Herzog von Gunfleet, Roger Comstock, Robert Hooke und Christopher Wren) beauftragt festzustellen, ob dergleichen tatsächlich möglich sei. Sie hatten ihrerseits einen gewissen John Flamsteed gefragt. Flamsteed war so alt wie Daniel. Zu kränklich, um die Schule zu besuchen, war er zu Hause geblieben und hatte sich selbst Astronomie beigebracht. Später war er so weit genesen, dass er imstande war, Cambridge zu besuchen und alles zu lernen, was man ihm dort beibringen konnte, was damals nicht viel war. Als er die Anfrage der vier erwähnten Fellows der Royal Society erhielt, war er gerade mit seinem Studium fertig und auf der Suche nach einer Beschäftigung gewesen. Er hatte schlauerweise zurückgeschrieben, dass das vom Sieur de St. Pierre vorgeschlagene Verfahren zwar theoretisch vielleicht möglich, in der Praxis jedoch vollkommen undurchführbar sei, weil es an verlässlichen astronomischen Daten fehle – ein Mangel, dem nur durch ein längeres und kostspieliges Forschungsprogramm abgeholfen werden könne. Es war das erste und einzige Mal, dass Flamsteed politisch agiert hatte. Charles II. hatte ihn unverzüglich zum Königlichen Astronomen ernannt und das Königliche Observatorium gegründet.
Für die ersten Jahre bezog Flamsteed vorübergehend im Tower von London Quartier, und zwar auf dem runden Turm des White Tower. Dort stellte er seine ersten Beobachtungen an, während auf einem Stück ungenutzten königlichen Besitzes in Greenwich eine Dauereinrichtung geschaffen wurde.
Mit sechs Ehefrauen nicht ausgelastet, hatte Heinrich VIII. jede Menge Mätressen unterhalten, die er, wenn sie gerade nicht in Gebrauch waren, in einer Art Schlupfloch auf einem Hügel über Greenwich Palace unterbrachte. Seine Nachfolger hatten seine Begierden nicht geteilt, und so war das königliche Fickhaus weitgehend verfallen. Die Fundamente jedoch waren noch immer solide. Auf ihnen hatten Hooke und Wren in aller Eile und mit einem winzigen Budget eine Wohnung gebaut, die als Sockel für ein achteckiges Salzfass diente. Auf diesem stand ein Türmchen, das in kleinerem Maßstab den normannischen Türmen des Towers von London nachempfunden war. Die Wohnung sollte Flamsteed als Quartier dienen. Das Achteck darüber wurde im
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