Quicksilver
Geheimschrift unterwegs sicher ist, und Ihr wisst, dass sie bei mir sicher ist, denn ich habe hier keine Freunde, denen ich sie ins Ohr flüstern könnte.
Nur Kleingeister wollen immer Recht haben.
Ludwig XIV.
An M. le Comte d’Avaux Juni 1687
Monseigneur, als ich mich beklagte, dass Pater de Gex und Mme. de Maintenon versuchten, mich zur Nonne zu machen, hätte ich nie gedacht, dass Ihr damit reagieren würdet, mich als Hure hinzustellen! Mme. la Duchesse d’Oyonnax musste praktisch Schweizer Garden am Eingang ihrer Gemächer postieren, um die jungen Burschen von mir fern zu halten. Was für Gerüchte habt Ihr verbreitet? Dass ich Nymphomanin sei? Dass tausend louis d’or dem ersten Franzosen gehörten, der mich ins Bett bekäme?
Jedenfalls habe ich jetzt eine Ahnung, wer zum cabinet noir gehört. Eines Tages war Pater de Gex wie aus heiterem Himmel sehr kühl mir gegenüber, und Étienne d’Arcachon, der einarmige Sohn des Herzogs, besuchte mich, um mir zu sagen, dass er keins der Gerüchte glaubte, die über mich verbreitet würden. Ich nehme an, sein Edelmut sollte mich überwältigen – bei ihm weiß man nie, woran man ist. Denn auf der einen Seite ist er so übertrieben höflich, dass manche behaupten, er sei nicht ganz bei Trost, und auf der anderen (wenn auch nicht ganz vollständigen!) hat er mich in der Oper mit Monmouth gesehen und weiß einiges von meiner Geschichte. Warum würde der Sohn eines Herzogs andernfalls einer gewöhnlichen Bediensteten auch nur die Tageszeit anbieten?
Der einzige Umstand, unter dem ein Mann von seiner Stellung und eine Frau von meiner im Gespräch miteinander gesehen werden dürfen, ist ein Maskenball, bei dem die Stellung keine Rolle spielt und alle normalen Regeln der Rangordnung für ein paar Stunden außer Kraft gesetzt sind. Neulich abends begleitete Étienne d’Arcachon mich zu einem in Dampierre, dem Schloss des Duc de Chevreuse. Er verkleidete sich als Pan und ich mich als Nymphe. An dieser Stelle würde jede richtige Hofdame mehrere Seiten auf die Beschreibung der Kostüme und die Intrigen und Machenschaften bei deren Anfertigung verwenden, aber da ich keine richtige Hofdame bin und Ihr ein viel beschäftigter Mann seid, will ich es dabei belassen – erwähnen will ich nur noch, dass Étienne eine spezielle Handprothese hatte, die aus Buchsbaum geschnitzt und an seinen Stumpf geschnallt war. Die Hand umklammerte eine silberne, ganz mit Efeu (Smaragdblätter natürlich und Rubinbeeren) umwundene Panflöte, und von Zeit zu Zeit hob er sie an die Lippen und blies eine kleine Melodie, die er sich von Lully hatte komponieren lassen.
Während wir in der Kutsche nach Dampierre fuhren, ließ Étienne mir gegenüber eine Bemerkung fallen: »Wisst Ihr, dass unser Gastgeber, der Duc de Chevreuse, der Schwiegersohn eines Gemeinen ist, nämlich von Colbert, dem verstorbenen Contrôleur-Général, der neben anderen Leistungen Versailles erbaute?«
Wie Ihr wisst, war das nicht die erste verhüllte Bemerkung dieser Art, die ein hoch stehender Franzose an mich richtete. Als das zum ersten Mal passierte, wurde ich schrecklich aufgeregt, weil ich dachte, ich würde jeden Augenblick geadelt. Danach neigte ich eine Zeit lang eher zu einer zynischen Sicht und empfand es wie einen Fleischbrocken, den man hoch über der Nase eines Hundes baumeln ließ, um ihn zu irgendwelchen Tricks zu bewegen. Doch an diesem Abend, als ich am Arm des künftigen Herzogs zu dem herrlichen Schloss von Dampierre fuhr und die Last meiner niederen Stellung für ein paar Stunden durch Maske und Kostüm von mir genommen war, bildete ich mir ein, Étiennes Bemerkung bedeutete wirklich etwas, und ich würde vielleicht, wenn ich meine Fähigkeiten nutzte, um etwas Großes zuwege zu bringen, ebenso belohnt wie einst Colbert.
Tun wir einmal so, als hätte ich pflichtgetreu sämtliche Kostüme, die Tischarrangements, das Essen und die Aufführungen beschrieben, die der Duc de Chevreuse in Dampierre aufgeboten hat. Aus den Seiten, die ich dadurch spare, könnte ich ein kleines Buch machen. Am Anfang war die Stimmung ein wenig trübsinnig, denn Mansart – der Architekt des Königs – war da, und er hatte gerade die Nachricht erhalten, dass der Parthenon in die Luft gejagt worden sei. Anscheinend hatten die Türken ihn als Pulvermagazin benutzt, und die Venezianer, die gerade versuchen, diese Stadt heim ins Christentum zu holen, hatten ihn mit Mörsern bombardiert und eine große Explosion ausgelöst.
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