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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Mansart – der immer den ehrgeizigen Wunsch gehegt hatte, eine Pilgerreise nach Athen zu machen, um dieses Gebäude mit eigenen Augen zu sehen – war untröstlich. Étienne prahlte, er werde persönlich ein Geschwader der Mittelmeerflotte seines Vaters nach Athen führen, um diese Stadt heim ins Christentum zu bringen. Das war sozusagen ein faux pas , denn Athen liegt ja nicht direkt am Wasser. Ein längeres verlegenes Schweigen war die Folge.
Ich beschloss zuzuschlagen. Niemand wusste, wer ich war, und selbst wenn sie es herausfanden, konnten mein Status und mein Ruf (dank Euch!) kaum noch schlechter werden. »So trübsinnig sind wir wegen dieser Nachricht aus dem Ausland«, rief ich aus, »aber was sind Nachrichten anderes als Wörter, und was sind Wörter anderes als Luft?«
Das löste zunächst nur leichtes Gekicher aus, da jeder annahm, ich sei eine dieser hohlköpfigen Herzoginnen, die zu viel Pascal gelesen haben. Aber ich hatte ihre Aufmerksamkeit (wenn Ihr mein Kleid gesehen hättet, wüsstet Ihr, dass ich ihre Aufmerksamkeit hatte; mein Gesicht war verborgen, alles andere wurde gut durchgelüftet).
Ich fuhr fort: »Warum sollten wir nicht ein paar Nachrichten eher nach unserem Geschmack hervorzaubern und unsere Feinde, die Holländer, in eine trübsinnige Stimmung versetzen, damit wir von Freude und Frohsinn erfüllt sind?«
Jetzt waren die meisten von ihnen ratlos, aber einige zeigten doch Interesse – einschließlich eines Burschen, der als Orion nach dessen Blendung durch Oinopion verkleidet war, das heißt, bei seiner Maske lief Blut aus den Augenhöhlen. Orion bat mich, weiterzusprechen, und das tat ich: »Wir hier sind empfänglich für Emotionen, denn wir sind ein Volk von Leidenschaft und großen Gefühlen, und dementsprechend sind wir betrübt über die Zerstörung des Parthenon, denn wir schätzen die Schönheit. In Amsterdam haben sie Investitionen statt Emotionen, und alles, was sie schätzen, ist ihre wertvolle V.O.C.-Aktie. Wir könnten alle Schätze der Klassik zerstören, und es würde ihnen nichts ausmachen; wenn sie aber schlechte Nachrichten hören, die die V.O.C. betrifft, stürzt sie das in Verzweiflung – beziehungsweise der Preis der Aktie fällt, was auf dasselbe hinausläuft.«
»Da Ihr so viel darüber zu wissen scheint, sagt uns, was für sie die allerschlechteste Nachricht wäre«, sagte der blinde Orion.
»Nun ja, der Fall von Batavia – denn das ist der Achsnagel ihres überseeischen Territoriums.«
Inzwischen stand Orion direkt vor mir, und wir befanden uns inmitten eines Kreises aus kostümierten Adligen, die sich alle vorbeugten, um mitzuhören. Jedem war nämlich klar, dass der als Orion verkleidete Mann niemand anderer als der König selbst war. Er sagte: »Das Treiben der Käsefresser ist für uns ein ordinäres Durcheinander – es verstehen zu wollen ist, als schaute man schlammbeschmierten englischen Bauern bei einem ihrer Wettkämpfe im Schienbeintreten zu. Wenn es so leicht ist, einen Zusammenbruch auf dem Amsterdamer Markt herbeizuführen, warum bricht er dann nicht andauernd zusammen? So ein Gerücht könnte doch jeder in die Welt setzen.«
»Das machen auch viele – es kommt sehr häufig vor, dass Investoren sich zusammentun und eine konspirative Gruppe bilden, eine Art Geheimgesellschaft, die den Markt zu ihrem Nutzen manipuliert. Die Machenschaften dieser Gruppen sind überaus kompliziert geworden und erinnern mit ihrer Vielzahl an Bewegungen und Variationen an Tanzschritte. Doch an irgendeinem Punkt geht es für alle darum, falsche Informationen in die Ohren vertrauensseliger Investoren zu streuen. Diese konspirativen Gruppen sind wie Wolken am Sommerhimmel, sie entstehen und verbinden sich, teilen sich wieder und lösen sich in Luft auf, und dadurch ist der Markt inzwischen widerstandsfähig gegen Nachrichten geworden, insbesondere gegen schlechte; die meisten Investoren gehen nämlich jetzt davon aus, dass schlechte Nachrichten aus dem Ausland von einer konspirativen Gruppe ausgegebene falsche Informationen sind.«
»Welche Hoffnung haben wir denn dann, diese skeptischen Häretiker davon zu überzeugen, dass Batavia gefallen ist?«, fragte Orion.
»Die Beantwortung Eurer Frage wird durch die Tatsache ein wenig erschwert, dass hier jedermann verkleidet ist«, sagte ich, »aber es wäre wohl nicht unsinnig anzunehmen, dass der Großadmiral der französischen Kriegsmarine (der Duc d’Arcachon) und der Contrôleur der französischen Ostindienkompanie (der

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