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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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unfähig zu denken. Ich schäme mich zu sagen, dass wir aufgrund dieser Unfähigkeit in das Lager eines Kavallerieregiments stolperten. Ein Rittmeister schlug an die Tür der Kutsche und forderte uns auf, uns zu erklären.
    Für sie war bereits offenkundig, dass die Mehrheit unserer Gruppe Deutsch sprach und es würde nicht lange dauern bis ihnen klar war, dass Dr. von Pfung und die anderen aus der Pfalz kamen; das würde uns als feindliche Spione kennzeichnen und die schlimmsten Folgen nach sich ziehen, die man sich vorstellen konnte.
    Während meiner langen Reise auf dem chaland die Marne aufwärts hatte ich mehr als genug Zeit gehabt, mir vorzustellen, wie ein schlimmer Ausgang des Ganzen aussehen konnte, und hatte mir verschiedene Geschichten ausgedacht und einstudiert, die ich einem, der mich beim Spionieren erwischte, auftischen wollte. Doch Auge in Auge mit diesem Rittmeister war ich genauso wenig in der Lage, Geschichten zu erzählen, wie der vom Schlag getroffene Dr. von Pfung. Das Problem lag darin, dass diese Operation ein viel größeres Ausmaß besaß, als Liselotte oder ich gedacht hatten, und dass viel mehr Mitglieder des königlichen Hofes darin verwickelt waren; was weiß denn ich, vielleicht hielt irgendein Graf oder Marquis sich in der Nähe auf, mit dem ich in Versailles diniert oder getanzt hatte und der mich erkennen würde, kaum dass ich der Kutsche entstiegen war. Irgendeinen erdachten Namen anzunehmen und eine Geschichte zu erfinden wäre gleichbedeutend mit dem Geständnis gewesen, dass ich eine Spionin bin.
    Also sagte ich die Wahrheit. »Erwartet nicht von diesem Mann, dass er die Vorstellung übernimmt, denn er hat einen Schlaganfall erlitten und die Fähigkeit zu sprechen verloren«, sagte ich zu dem erstaunten Rittmeister. »Ich bin Eliza, Gräfin de la Zeur, und befinde mich hier im Dienst von Elisabeth Charlotte, der Herzogin von Orléans und rechtmäßigen Erbin der Pfalz. In ihrem Namen seid Ihr im Begriff, in dieses Land einzufallen. Sie ist es, in deren Dienst meine Eskorten stehen, denn sie sind Hofbeamte aus Heidelberg. Und sie ist es, die mich als ihre persönliche Repräsentantin hierher geschickt hat, um Einblick in Eure Operationen zu nehmen und sicherzustellen, dass das Richtige getan wird.«
    Dieses Stück Unsinn, »dass das Richtige getan wird«, war eine Aneinanderreihung nichts sagender Wörter, die ich an das Ende des Satzes gehängt hatte, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte, und allmählich den Mut verlor. Denn selbst als ich unter dem kaiserlichen Palast in Wien stand und darauf wartete zu spüren, wie die Klinge des Janitscharenschwertes in meinen Hals drang, hatte ich mich nicht so unsicher gefühlt, wie ich es dort tat. Ich glaube jedoch, dass gerade die Unbestimmtheit meiner Worte eine große Wirkung auf diesen Rittmeister hatte, denn er trat von dem Fenster zurück, verbeugte sich tief und verkündete, er werde seinen Vorgesetzten unverzüglich Nachricht von meiner Ankunft geben.
     
    Hans ist zurückgekommen und hat gesagt, er habe eine Stelle gefunden, an der wir versuchen könnten, diesen Fluss zu überqueren, und so will ich nur noch erzählen, dass zur gegebenen Zeit die Nachricht unserer Ankunft in der Befehlskette nach oben weitergegeben wurde, bis sie einen Mann erreichte, dessen Position bei Hofe hoch genug war, dass er mich empfangen konnte, ohne irgendwelche Bestimmungen der Rangordnung zu missachten. Wie sich herausstellte, war dieser Mann Étienne d’Arcachon.
    TAGEBUCHEINTRAG 10. SEPTEMBER 1688
    Sie meinen, wir seien irgendwo um Bastogne herum. War eine ganze Zeit lang nicht in der Lage, Stickarbeit zu machen, da unsere Alltagssorgen schwer auf uns eingestürzt sind. Im Ardenner Wald wimmelt es unter normalen Umständen schon von Landstreichern und Wegelagerern [und, wie manche behaupten, Hexen und Kobolden]. Zu diesen kommen nun noch unzählige Deserteure aus den französischen Regimentern, die nach Süden ziehen. Sie springen von den langsam dahinschwimmenden Barken, waten ans Ufer und dringen in die Wälder vor. Wir mussten uns vorsichtig fortbewegen und die ganze Nacht jemanden als Wache postieren. Diese Notizen mache ich während meiner Wache. An einem knisternden Feuer zu sitzen wäre reiner Wahnsinn, und so hocke ich, in eine Decke gehüllt, in einer Astgabel und sticke im Mondlicht.
    Männer, die das Schicksal auf eine harte Probe gestellt hat, haben oft dumme und unnütze Kinder, um ihre Macht zu demonstrieren, so wie reiche

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