Quicksilver
Osten durch die Wälder vorwärts zu arbeiten. Es hat den Anschein einer Beerdigungsprozession gehabt, denn kaum dass Dr. von Pfung den Namen Louvois hörte, schwand jeder Zweifel, dass die Pfalz überfallen werden sollte. Aber der Offizier, der diesen Namen aussprach, hat vielleicht nur geraten oder mir etwas gesagt, wovon er vermutete, dass ich es hören wollte. Wir müssen diese Sache durchschauen und mit eigenen Augen unwiderlegbare Beweise sehen.
Während ich dies schreibe, sind wir wieder auf einem langwierigen Abstieg, diesmal, so vermute ich, ins Tal der Meuse. Sie fließt von hier aus durch die Ardennen und die Spanischen Niederlande in das Gebiet entlang der holländischen Grenze, wo die besten Regimenter der französischen Armee lange Zeit stationiert waren, um Wilhelms Flanke zu bedrohen und die holländische Armee in Schach zu halten.
ANMERKUNG DES KRYPTOANALYTIKERS: An dieser Stelle wird der Bericht völlig wirr. Die Gräfin platzte mitten in die Armee Eurer Majestät und hatte ein Abenteuer, dass aufzuschreiben sie nicht die Muße fand. Später, als sie auf der Flucht nach Norden in Richtung Nijmegen war, machte sie sich ein paar rätselhafte Notizen über das, was passiert war. Diese sind vermischt mit längeren Spionageberichten, in denen sie die Regimenter und Offiziere aufzählt, die sie dabei beobachtete, wie sie nach Süden zogen, um sich den Streitkräften Eurer Majestät entlang des Rheins anzuschließen. Mir ist es gelungen, durch die Befragung verschiedener Personen, die sie in dem französischen Militärlager gesehen haben, die Handlungen der Gräfin zu rekonstruieren und dadurch Sinn in ihre Notizen zu bringen. Die nachfolgende Schilderung ist ungleich weitschweifiger als das, was in ihrer Stickarbeit erscheint, aber ich glaube, es ist richtig, und hoffe, dass es informativer und damit auch erfreulicher für Eure Majestät ist als das Original. Zugleich habe ich all die langweiligen Auflistungen herausgenommen, die die Gräfin von Bataillonen et cetera gemacht hat. - B. R.
TAGEBUCHEINTRAG 7. SEPTEMBER 1688
Ich reite in größter Eile nach Norden und kann nur während der Pausen zum Pferdewechseln ein paar Worte festhalten. Die Kutsche ist weg. Der Kutscher und Dr. von Pfung sind tot. Ich bin mit den zwei Kavallerieoffizieren aus Heidelberg unterwegs. Während ich diese Worte schreibe, befinden wir uns in einem Dorf an der Meuse, nahe Verdun, vermute ich. Gerade sagt man mir, dass wir weiterreiten.
Es ist jetzt später, und ich glaube, wir sind unweit von dort, wo Frankreich, das Herzogtum Luxemburg und die Spanischen Niederlande zusammenkommen. Wir mussten die Meuse verlassen und uns in den Wald schlagen. Zwischen hier und Liège, das ein paar hundert Meilen nördlich liegt, verläuft der Fluss nicht in direkter Linie, sondern macht eine lange Schleife in westlicher Richtung und fließt dabei weitgehend durch französisches Gebiet. Dadurch eignet er sich zwar bestens als Kanal für französische Militärtransporte aus dem Norden, aber schlecht für unsere Zwecke. Stattdessen werden wir versuchen, die Ardennen [wie diese Wälder genannt werden] nordwärts zu durchqueren.
TAGEBUCHEINTRAG 8. SEPTEMBER 1688
Rast am Flussufer, reiben uns die vom Reiten wunden Stellen, während Hans nach einer Furt sucht. Werde versuchen, im Weiteren zu erklären.
Als wir vor drei Tagen [musste an den Fingern abzählen, kommt mir eher vor wie drei Wochen] endlich die Meuse erreichten, sahen wir sofort den Beweis, den wir gesucht hatten. Tausende alter Bäume gefällt, Tal voller Rauch, improvisierte Landungsstege am Flussufer. Vortrupps der Regimenter von der holländischen Grenze waren flussaufwärts gekommen und hatten, zusammen mit Offizieren, die aus Versailles geschickt worden waren, begonnen, Vorbereitungen für die Aufnahme der Regimenter selbst zu treffen.
Über viele Stunden sagte Dr. von Pfung nicht ein Wort. Als er es tat, kamen nur genuschelte sinnlose Töne aus seinem Mund, und mir wurde klar, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte.
Ich fragte ihn, ob er umkehren wolle, und er schüttelte nur den Kopf, zeigte auf mich und dann nach Norden.
Alles war auseinander gefallen. Bis zu diesem Moment war ich davon ausgegangen, dass wir nach einem zusammenhängenden Plan von Dr. von Pfung vorgingen, aber im Rückblick wurde mir nun klar, dass wir uns wie ein Mann, der von einem wild gewordenen Pferd auf ein Schlachtfeld mitgenommen wird, achtlos in Gefahr begeben hatten. Eine Zeit lang war ich
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