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Quicksilver

Quicksilver

Titel: Quicksilver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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das Versprechen ab, nicht zu blinzeln. Das schüchterte ihn dermaßen ein, dass er einfach aus der Kutsche kletterte und eine Weile nebenherlief. Ich wechselte aus der graubraunen Ordenstracht in ein Kleid, das ich mitgebracht hatte. In Versailles wäre dieses Gewand kaum gut genug zum Fußbodenwischen gewesen. Hier im Argonner Wald jedoch musste man es als ernsthaft feuergefährlich einstufen.
    Als wir ein paar Stunden später in das Tal eines kleineren Flusses namens Ornain hinabfuhren, überholten wir einen weiteren Zug von bleibeladenen Ochsenkarren, der sich unter einer Unmenge von Flüchen, Zusammenstößen und splitterndem Holz seinen Weg den Bergrücken hinabbahnte. Genau wie vorher ritt auch hier ein junger Offizier an der Spitze. Er sah um kein Jota weniger erbärmlich aus als der erste – bis ich mich aus dem Kutschenfenster hinaus und fast aus meinem Kleid reckte. Als er seine Überraschung erst einmal überwunden hatte, weinte er fast vor Dankbarkeit. Es machte mich glücklich, diesem armen Mann eine solche Freude zu bereiten, und nur dadurch, dass ich ein Kleid anzog und ein Fenster öffnete. Sein Mund ging in einer Weise auf, die mich an einen Fisch erinnerte; deshalb beschloss ich, fischen zu gehen. »Verzeiht, Monsieur, aber könnt Ihr mir sagen, wo ich wohl meinen Onkel finde?«
    Daraufhin öffnete sich sein Mund noch ein bisschen weiter. »Ich bin untröstlich, Mademoiselle, aber ich kenne ihn nicht.«
    »Das ist unmöglich! Jeder Offizier kennt ihn!«, versuchte ich es.
    »Verzeiht, Mademoiselle, aber Ihr habt mich falsch verstanden. Euer Onkel ist ohne Zweifel ein großer Mann, dessen Namen ich wiedererkennen und ehren würde, wenn ich ihn hörte – aber ich bin zu töricht und ignorant, um zu wissen, wer Ihr seid, und folglich weiß ich auch nicht, welcher große Mann das Privileg besitzt, Euer Onkel zu sein.«
    »Ich dachte, Ihr wüsstet, wer ich bin!«, schmollte ich. Der Offizier sah ausgesprochen bestürzt aus. »Ich bin -« Dann drehte ich mich um und gab Dr. Pfung einen leichten Klaps auf den Arm. »Lasst das!« Dann, an den Offizier gewandt: »Mein Begleiter ist ein alter Knacker, der mir nicht gestatten wird, mich selbst vorzustellen.«
    »Sich selbst einem jungen Mann vorzustellen, Mademoiselle, wäre für eine junge Dame in der Tat unverzeihlich.«
    »Dann müssen wir unsere Unterhaltung inkognito führen und sagen, sie habe nie stattgefunden – wie ein Rendezvous zweier Liebender«, sagte ich, lehnte mich noch ein bisschen weiter aus dem Fenster und winkte ihm, er möge etwas näher heranreiten. Ich hatte Angst, er könne in Ohnmacht fallen und sich um die Achse unserer Kutsche winden. Mit einiger Mühe hielt er jedoch das Gleichgewicht und kam so nah, dass ich die Hand ausstrecken und mich stützen konnte, indem ich sie auf den Knauf seines Säbels legte. Mit leiserer Stimme fuhr ich fort: »Ihr habt vermutlich erraten, dass mein Onkel ein Mann von sehr hohem Rang ist, der in diese Gegend geschickt wurde, um in den nächsten Tagen den Willen des Königs zu vollstrecken.«
    Der Offizier nickte.
    »Ich war auf dem Rückweg von Oyonnax hinauf nach Paris, als ich erfuhr, dass er sich hier aufhält, und habe beschlossen, sein Lager zu finden und ihm einen Überraschungsbesuch abzustatten, und weder Ihr noch mein Begleiter können das verhindern! Ich muss nur wissen, wo ich sein Hauptquartier finde.«
    »Mademoiselle, ist Euer Onkel der Chevalier d’Adour?«
    Ich nahm den Gesichtsausdruck von jemandem an, der mit einem Löffelgriff geknebelt worden ist.
    »Natürlich nicht, das habe ich in Wirklichkeit nicht geglaubt… ebenso wenig seid Ihr aus dem Haus derer von Lothringen, vermute ich, denn dann bräuchtet Ihr keine Richtungshinweise… Ist es Étienne d’Arcachon? Nein, verzeiht mir, er hat keine Geschwister und könnte gar keine Nichte haben. Doch Euer hübsches Gesicht wird weicher, Mademoiselle, daran sehe ich, dass ich mich der Wahrheit nähere. Der Einzige, der hier im Rang höher steht als der junge Arcachon, ist der Marschall Louvois selbst. Und ich weiß nicht, ob er bereits von der holländischen Front heruntergekommen ist… aber wenn er es tut, müsst Ihr entlang des Meuseufers nach ihm suchen. Allerdings kann es sein, dass Ihr, wenn Ihr dort nach ihm fragt und erfahrt, dass er sich bereits ausgeschifft hat, seiner Spur ostwärts ins Saarland werdet folgen müssen.«
     
    Diese Unterhaltung fand vorgestern statt, und seitdem haben wir nichts anderes getan, als uns nach

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