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Quintessenzen

Quintessenzen

Titel: Quintessenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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Erde kreist. Dem Augenschein nach ist das ja auch so. Verändert das deine Wahrnehmung? Nur die des Sonnenaufgangs, oder auch die deiner Rolle im Universum, deiner Aufgehobenheit, deiner Bedeutung? (Und nun stell dir vor, dass einer beweist, dass das nicht so ist, dann bist du bei der Unerhörtheit, die Kopernikus damals beging. So unerhört war das, dass selbst 150 Jahre später Shakespeare immer noch verzweifelnd in Richtung des zerstörten Systems schrieb: »Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die unsere Schulweisheit sich nicht träumen lässt.« Auch Genies tun sich schwer mit dem Verlassen ihres Elements.)
    Tu’s gelegentlich spaßeshalber. Denk dir hin und wieder ein paar selbstverständliche Dinge weg, wenn du die Welt, einen Menschen oder dich selbst nicht verstehst. Raus aus dem warmen Mantel, ab ins kalte Wasser. (Und keine Sorge, es geht dir nur bis zum Bauch.)
    Nicht funktioniert nicht
    Und zwar nie. Das weißt du natürlich, seit ich dich im Alter von circa sieben Jahren bat, nicht an blaue Affen zu denken. Und du verblüfft warst, wie sehr du in genau dem Augenblick an gar nichts anderes mehr denken konntest als an blaue Affen.
    Zu wissen, dass ein »nicht« in Gedanken und Formulierungen grundsätzlich das Gegenteil von dem bewirkt, was es soll, ist aber überaus hilfreich. Wir sind unsere Gedanken und du bist gut beraten, das »nicht« zu meiden wie Beelzebub die Weihrauchtabletten. Statt »Ich bin nicht neidisch!« denke »Ich bin zufrieden«, statt »Ich will nicht mehr krank sein«, denke »Ich bin gesund«. Gern auch ein paar Tage in die Zukunft, denn dein Gehirn und dein Körper haben kein Problem damit, sich zügig deinen Gedanken anzupassen.
    Ach ja, und falls du irgendwann Gelegenheit hast, tu etwas wahnsinnig Nützliches und sorg dafür, dass dieses dicke Buch umgeschrieben wird, das so vielen von uns als moralischer Leitfaden gilt. Denn »Du sollst nicht töten« leistet deutlich Schlimmeres als »Du sollst alles Leben bewahren«, und »Du sollst nicht begehren deines nächsten Haus, Weib und Kram« weit weniger als »Sei dankbar und zufrieden mit dem, was du hast«.
    Und fortan erinnere dich möglichst durchgehend nicht an diesen Rat.
    Götterglauben
    Früher schuf der Mensch sich Gott nach seinem Ebenbilde, aber das gilt natürlich nicht mehr für uns aufgeklärte Geister, bei uns verhält es sich andersrum. Wir wissen eben mehr als die alten Maya, Azteken, Indianer, Ägypter und Griechen, und damit endet auch schon die ironische Einleitung.
    Niemand, der über Herz, Hirn oder gar beides verfügt, wird bestreiten, dass es gewaltige Mächte und Kräfte gibt, die sich seinem Begreifen entziehen, und es ist sicherlich tröstlich, sich diese Mächte als wohlmeinend vorzustellen. Vielleicht sind sie das sogar.
    Dass sie da sind, steht außer Frage – und ist keine Frage des Glaubens. Die Existenz dieser Mächte grundsätzlich zu bezweifeln, ist kein Zeichen von forscher Intelligenz, sondern von galoppierender Hybris oder allumfassender Lästerung. Ebenso wie die Behauptung, diese Mächte hätten einzelnen von uns ihren Namen mitgeteilt oder irgendwem Regeln für das Zusammenleben diktiert, an die wir uns zu halten haben.
    Dass wir Menschen solche Regeln aufstellen, zeugt allerdings von Weisheit. Du wirst feststellen, dass in allen Religionen die gleiche Sehnsucht nach Sinn über das Leben hinaus ( → der Sinn des Lebens) sowie nach einem friedlichen Zusammenleben der Menschen im Diesseits ausgedrückt ist, wobei die Indianer offenbar weniger detaillierten Klärungsbedarf hatten als wir Spartaner und Beduinen. Du wirst daher vermutlich die Religion der Indianer liebenswerter finden – und weiser.
    Glauben, gleich welcher Art, schafft Ordnung und bietet Trost. Ob du dich dabei an Sitting Bull und seine Ältesten hältst oder die Stoiker oder du stark genug bist für eine unbequeme Philosophie, ist fast unbedeutend. Deine Hoffnungen oder Gebete kommen an der gleichen Stelle an. Und was das Jenseits betrifft, kannst du getrost davon ausgehen, dass nichts verloren geht. Wohin sollte es?
    Zugegeben, das, was du »Ich« nennst, wird dabei möglicherweise nur in der Erinnerung jener weiterleben, die dieses Ich gekannt haben; aber da du unvermeidlich irgendwann herausfinden wirst, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, lass diese Frage ganz entspannt auf dich zukommen. Und wende dich stattdessen dem Leben zu, dem Tag, dem → Jetzt . Denn das Gestern soll dir nur als Erinnerung dienen, damit du

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