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Quipu

Quipu

Titel: Quipu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Vidal
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kann sich ungezwungener, freier geben.«
    »Ich verstehe«, erwiderte er verlegen und konzentrierte sich ganz auf den Kuchen.
    »Meine Mutter hat mich als Kind hierhergebracht. Das Haus war besser geschützt vor den Winden der Anden und lag nicht so hoch wie Cuzco.«
    »War das, als sie sich so um deine Gesundheit sorgte?«
    »Ich sehe, sie hat es dir erzählt. Später hat sie mich wieder nach Cuzco geholt, weil sie meinte, ich würde hier verwildern.«
    Nachdem sie ihre Schokolade ausgetrunken hatten, gingen sie in den Hof, wo Qaytu und Yarpay sie bereits erwarteten. Der Verwalter zeigte Sebastián den Graben und den Wall, die das alte Gut umgaben und sich in einem denkbar verwahrlosten Zustand befanden.
    »Wie viele Waffen haben Sie?«, wollte der Ingenieur wissen.
    »Nur wenige. Ein paar Flinten, Lanzen, Schwerter und Steinschleudern.«
    »Wir haben es mit einem Trupp von circa fünfzig bewaffneten Spaniern zu tun«, rief Sebastián ihm besorgt in Erinnerung. »Wir müssen die Mauern ausbessern, mit Dornen gespickte Palisaden in den Boden rammen und den Graben mit Wasser füllen. Wenn Sie dann zusätzlich noch Wachen aufstellen, können Sie wenigstens einen Überraschungsangriff verhindern, und es bleibt Zeit, Hilfe von den benachbarten Gutshöfen zu holen. Wie weit ist die nächste spanische Garnison entfernt?«
    »Eine Meile.«
    »Gut. Dann also ran an die Arbeit. Woher können wir das Wasser für den Graben nehmen?«
    »Von unserer Hauptquelle, die auf halber Höhe des Berges liegt«, schlug Yarpay vor.
    |393| »Ich werde sie dir zeigen«, sagte Umina zu Sebastián.
    Zwischen knorrigen Weiden, Pfirsich-, Granatapfel- und Orangenbäumen stiegen sie hinauf auf die Hochebene über dem äußerst fruchtbaren, vom Urubamba bewässerten Tal. Danach schlängelte sich der Pfad zwischen Ginsterbüschen hindurch, die so hoch waren, dass sie einen wahren Wald bildeten. Vor ihnen erstreckten sich wie eine glanzvolle Kulisse die sonnenbestrahlten Gipfel der beiden Gletscher Calca und Paucartambo, deren schroffe Steilwände zum Fluss hin in Terrassen übergingen. Sie wurden von sprudelnden Quellen und Bächen durchzogen, die alles in einen grünenden, farbenfrohen Garten verwandelten.
    »Es gibt in ganz Peru keine besseren Böden als in Yucay«, sagte Umina und atmete tief durch.
    »Waren diese Ländereien stets im Besitz deiner Mutter?«
    »Ja. Sie sind ihr ganzer Stolz. Früher war das hier ein ungesunder Sumpf, bis Huayna Cápac, der Vater von Quispi Quipu und Vorfahre meiner Mutter, ihn trockenlegen ließ. Auf vielen dieser Terrassen hat man von Hand die Steine aufgesammelt, um den Boden zu verbessern. Heute wirkt das alles ganz natürlich, aber es ist alles von Menschenhand geschaffen.« Umina deutete auf ein paar Ruinen, die sich über den Terrassen erhoben. »Dort oben siehst du Huayna Cápacs ehemaligen Sommerpalast. Meine Mutter sagt, dort habe er seine besten Leute versammelt und die wichtigste Botschaft unserer Kultur hinterlassen, ehe die Spanier kamen.«
    »Den Plan des Inkas?«
    »Ja, in gewissem Sinne. Aber jetzt sieh dir an, wie die Terrassen und Bewässerungsgräben angelegt sind.«
    Welch ungeheure Arbeit in den Terrassen steckte, wurde dem Ingenieur bewusst, als er nach dem kürzesten Weg suchte, das Wasser von der Bergflanke in den Wassergraben des alten Gutshofes zu leiten. Zunächst hatte man den Boden geebnet und stützende Mauern errichtet, dann Stauwehre und Bewässerungskanäle gebaut. Und bei alledem hatte man stets die Eigenart des jeweiligen Ortes zu ergründen gesucht. Sebastián wusste nur zu |394| gut, was es bedeutete, einen Kanal zu bauen, selbst unter weitaus günstigeren Bedingungen. Man musste ganz oben beginnen, direkt an der Schnee- und Gletschergrenze und als Erstes Geröll beiseiteschaffen. Dann musste man das Tauwasser in einem Kanal auffangen und seine Wucht mittels Stauungen bändigen. Anschließend musste dieser Wasserlauf in Bewässerungskanälen über die Terrassen geleitet werden. Diese hatten unterschiedliche Gefälle, um sämtliche Anbauflächen gleichmäßig bewässern zu können. Die Terrassen mussten mit äußerster Sorgfalt angelegt werden, damit sie genau die richtige Wassermenge speicherten und gleichzeitig der Boden nicht vom Wasser weggeschwemmt wurde. Es durfte nie zu viel und nie zu wenig Wasser da sein, und das Wasser musste je nach Bedarf gestaut oder abgelassen werden können. Auf ihrer Reise hatte Sebastián festgestellt, dass man an bestimmten

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