Quipu
Tochter bedeutete, die drei kleineren Geschwister einzusammeln, die vor dem Haus ein Hüpfspiel machten. Dienstbeflissen servierte Anco den Neuankömmlingen dann schnell ihr Mahl, in der Hoffnung, dass sie bald wieder gingen. Doch die Soldaten schienen es nicht eilig zu haben.
Kurz darauf war draußen Uminas Stimme zu vernehmen. Anaco machte seinem Schwager und Sebastián unauffällig ein Zeichen, damit sie sitzenblieben und keinen Verdacht erregten, und schickte sich selbst an, das Gatter zum Hof zu öffnen. Doch gerade als er hinausgehen wollte, winkte ihn der Unteroffizier |385| zum Zahlen herbei und dann nahmen die Soldaten ihre Waffen und gingen zusammen mit dem Indio hinaus.
Sebastián und Qaytu eilten augenblicklich ans Fenster und erblickten den Zweispänner, in dem Umina angekommen war. Der Unteroffizier lehnte an der weiß gekalkten Wand und beobachtete sie ganz ungeniert. Doch es war keiner dieser bewundernden Blicke, die die Mestizin sonst auf sich zu ziehen pflegte. Der Mann trat schließlich auf die junge Frau zu. Aus ihren Gesten schlossen der Ingenieur und der Maultiertreiber, dass sie ihm erklärte, wohin sie unterwegs war. Doch gelang es ihr anscheinend nicht, den Argwohn der Soldaten zu zerstreuen, da sie begannen, die Kutsche zu durchsuchen.
Sebastián warf Qaytu einen entsetzten Blick zu, der Maultiertreiber legte ihm jedoch beruhigend die Hand auf den Arm. Und tatsächlich: Nach einer Weile ritten die Soldaten in Richtung Cuzco davon.
Kaum waren sie außer Sicht, lief Sebastián hinaus zu Umina.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er und ergriff ihre Hand.
»Es hat alles wie vorgesehen geklappt.«
»Und deine Mutter?«
»Sie ist nicht in Gefahr, zumindest nicht, solange sie in Cuzco bleibt.«
»Und was ist mit Carvajal und Montilla?«
»Sie haben sich an den Stadtrichter gewandt, aber der wird ihrem Gesuch, die Krypta zu erkunden, nicht stattgeben, bis die Hinrichtungen vorüber sind. Das beweist schon die Tatsache, dass sie ihr Lager neben dem Kloster aufgelöst haben.«
Sebastián erschrak. »Das heißt, sie machen sich auf den Weg.«
»Richtig. Und sie haben sich Führer besorgt, die die Gegend gut kennen.«
»Aber sie kennen unsere Route nicht.«
»Von Cuzco aus gibt es nicht viele Möglichkeiten, nach Vilcabamba zu gelangen. Man muss auf jeden Fall durch das Urubamba-Tal. Und Carvajal weiß, dass wir in Yucay Ländereien haben.«
|386| »Dann lass uns die großen Wege meiden.«
»Das wird nicht immer möglich sein, schließlich müssen wir auf der von den Sternen festgelegten Route reisen. Aber das Wichtigste ist jetzt, dass wir schnell das erste
huaca
erkunden. Qenqo Grande befindet sich ganz hier in der Nähe und liegt direkt am Weg.«
Qaytu hatte derweil zusammen mit seiner Schwester und seinem Schwager den Zweispänner auf den Hof gebracht; die drei traten nun zu ihnen, um den Proviant zu besprechen, den sie von hier mitnehmen wollten.
»Usca und Anco meinen, dass wir am besten zu Fuß nach Qenqo gehen, derweil sie die Pferde und Maultiere beladen«, teilte Umina Sebastián mit.
Daraufhin nahm Qaytu Anco beiseite und begann mit ihm in Zeichensprache lebhaft zu debattieren. Sebastián glaubte zunächst, dass der Maultiertreiber ihn nach dem Weg nach Qenqo befragte, doch Qaytus Gesicht wurde dabei immer röter. Er schien sich bevormundet, fast schon erniedrigt zu fühlen. Bis irgendwann Umina zu ihm trat und wissen wollte, was los war. Qaytu antwortete jedoch nicht, nicht einmal mit den sonst üblichen Gesten, sondern stritt sich erbittert mit seinem Schwager weiter.
Der Ingenieur war verwirrt und fragte sich gerade, was er davon halten sollte, als Qaytus Schwester die Mestizin beiseitenahm. Die beiden Frauen tuschelten eine Weile, aber am Ende schien alles in Ordnung zu sein, sodass sie endlich zu der nahe gelegenen Talsohle des Qenqo Grande aufbrechen konnten.
»Was hatte diese ganze Geheimniskrämerei zu bedeuten?«, fragte Sebastián auf dem Weg zu dem
huaca
.
»Ich war noch nie an diesem Ort«, antwortete Umina ausweichend. »Chimpu zufolge ist Qenqo Grande das
huaca,
an dem das
Chinchaysuyu,
der nördliche Teil des Inkareiches, beginnt.«
»Und deshalb ist es der Anfangspunkt von Sírax’ Wegweiser?«
»Möglich.«
»Was, meinst du, müssen wir tun, wenn wir dort sind?«
»Das wirst du dann sehen«, erwiderte sie mit einer Schroffheit, wie er sie bei Qaytu, Usca und Anco wahrgenommen hatte.
|387| Und auch mit weiteren Fragen gelang es Sebastián nicht, ihr
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