Quipu
irgendetwas zu entlocken. Sie antwortete stets ausweichend.
Den Anweisungen seines Schwagers folgend, führte Qaytu sie einen Weg entlang, der sich an einem Bach zwischen zwei Felsen hindurchschlängelte und zu dessen Ursprung führte, einer klaren, üppig sprudelnden Quelle.
Der eigentliche heilige Ort dieses
huaca
war ein Felsenhügel, was unschwer zu erkennen war, war er doch genau wie der »Müde Stein« vor der Festung Sacsahuamán äußerst sorgsam behauen, mit einer Kunstfertigkeit, die die Inkas nur auf ihre wichtigsten Kultstätten verwendet hatten.
Er war als halbkreisförmige Terrassen angelegt worden, die ein natürliches Amphitheater mit unzähligen geometrischen Figuren bildeten. Dem Felshügel gegenüber stand ein Monolith. Er zeigte nach Süden und war so aufgestellt, dass er genau in der Mitte der Öffnung des Hufeisens stand und sein Schatten auf den steinernen Halbkreis fiel.
In dem Felsenhügel war eine breite Spalte, die natürlichen Ursprungs zu sein schien, wenngleich sie von Menschenhand behauen worden war. Als Sebastián durch die Spalte in die Höhle spähte, konnte er eine Art Altar erkennen, zu dem man ein paar Stufen hinabsteigen musste. Umina verharrte einen Augenblick neben Sebastián, ehe sie sich anschickte, vor den Altar zu treten.
Sebastián wollte ihr schon folgen, als er Qaytus Hand auf der Schulter spürte: Der Maultiertreiber gab ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er die Mestizin allein lassen sollte.
Während sie sich in der Höhle aufhielt, schien der Maultiertreiber sorgsam auf den Lauf des Schattens zu achten, der von dem Monolithen auf das steinerne Amphitheater geworfen wurde, über das er wie der Zeiger einer Sonnenuhr hinwegzog.
Sie warteten eine gute Weile. Bis Qaytu irgendwann aufstand und Umina ein Zeichen gab.
Begleitet von den beiden Männern ging sie zum Fuße des Hügels, wo eine in den Fels gehauene Treppe das
huaca
hinaufführte.
Oben angelangt, suchte Umina den Schatten des Monolithen, |388| der weitergewandert war und nun auf die zahlreichen geometrischen Skulpturen fiel. An einer in den Fels gemeißelten Kerbe, die in eine neunmal gewundene Rille führte, blieb sie stehen.
»Du sagtest, Qenqo bedeute so etwas wie ›Zickzack‹. Meintest du das damit?«, fragte der Ingenieur.
Umina ignorierte seine Frage vollkommen. Sie achtete nicht einmal auf die Kerbe, sondern nur auf die beiden Vorsprünge, die sich genau darüber befanden, und auf den Lauf der Sonne, die gerade den Schatten des Monolithen zwischen die beiden Erhebungen fallen ließ.
Mit einem Mal wandte Umina sich auf Quechua an Qaytu. Sie wirkte sichtlich beleidigt, als hätte dieser eine eindeutig erteilte Anweisung missachtet, worauf der riesenhafte Maultiertreiber gänzlich in sich zusammenzusacken schien. Zutiefst betroffen deutete er mit Gesten eine Entschuldigung an und zog den Ingenieur unsanft mit sich fort, weg aus Uminas Gesichtsfeld. Sebastián wollte sich widersetzen, erkannte aber in den Augen des Maultiertreibers, dass dieser keineswegs spaßte.
Unwillig musste er warten, bis Umina vom Steinhügel herabstieg. Ihr Gesichtsausdruck war äußerst befremdlich. Der Blick, den sie ihm zuwarf, und die Besorgnis in ihrem Gesicht sprachen Bände. Doch als er sie gerade fragen wollte, was das alles zu bedeuten habe, vernahmen sie einen Schuss.
Er schien von der Herberge zu kommen.
|389| Yucay
N achdem sie den Hügel über der Talsohle erklommen hatten, sahen sie mit Entsetzen, dass der
tambo
von ungefähr fünfzig Männern umstellt war. Im Hof lag jemand in einer Blutlache am Boden. Sebastián holte seinen Feldstecher hervor und erkannte augenblicklich den Verletzten: Es war Anco, Qaytus Schwager. In diesem Augenblick traten die Anführer der Bande aus dem Haus.
»Carvajal und Montilla!«
Sie führten Usca zwischen sich, gefolgt von ihrer ältesten Tochter, die mit den drei kleineren Geschwistern hinter ihnen herlief. Als Usca ihren Mann am Boden erblickte, wollte sie ihm zu Hilfe eilen, doch Carvajal ließ es nicht zu und zerrte sie zu Uminas Zweispänner.
»Diese verdammten Halunken!«, rief Sebastián aus. »Sie versuchen, Qaytus Schwester über uns auszuhorchen.«
Diese zeigte immer wieder auf den Weg nach Pisac.
»Ich glaube, sie versucht, sie in die Irre zu führen, damit sie uns nicht finden.«
Und es schien ihr zu gelingen, denn nach einer Weile schwangen sich Carvajal und Montilla auf ihre Pferde und verschwanden mit ihren Männern in der von Usca angegebenen
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