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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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'nen Elefanten und tun, als ob es wunder was sei, nicht weil es wirklich was Großes und Schlimmes wäre, nein, bloß von wegen dem zweiten Mal, von wegen dem Wiederbetretungsfall. Und da sind sie denn wie versessen drauf, und das war auch die Stelle mit dem dicken Strich... Das heißt die
eine.«
    »Die eine? Aber du mein Gott, war denn noch eine?«
    »Gewiß war noch eine da, die war noch dicker unterstrichen, und das war die von seinem Charakter.«
    »Ach, du meine Güte. Von seinem Charakter! Und die hat Opitz auch unterstrichen? Ja, was soll denn das heißen? Ein Charakter is doch bloß, wie man is. Und wie is man denn? Man is doch bloß so, wie einen der liebe Gott gemacht hat, und wenn man auch nicht alles tun darf, aber seinen Charakter, ja, du mein Gott, den hat man doch nu mal, und den wird man doch haben dürfen, und den kann er nicht unterstreichen. Und ein Mann wie Opitz, den ich immer beknickst habe, wie wenn er der Graf wäre. Gott, Christine, sage, Kind, was steht denn drin, und was hat er denn alles gesagt?«
    »Er hat gesagt, ›daß man sich jeder Tat von ihm zu gewärtigen habe‹, das steht drin, Frau Menz, und das Wort ›jeder‹ ist noch extra rot unterstrichen und sieht aus wie Blut, so daß ich einen regulären Schreck kriegte und bloß nicht wußte, an wen ich dabei denken sollte, ob an Opitzen oder an Lehnert. Ja, liebe Frau Menz, ›jeder Tat‹, so steht drin, und daß er aus diesem Grunde beantrage, die Strafe streng zu bemessen, und zweitens auch deshalb, weil er viel Anhang und Zuhörerschaft habe und überall in den Kretschams herumsitze und den Leuten Widersetzlichkeit beibringe, was um so törichter und strafenswerter sei, als er eigentlich einen guten Verstand habe und sehr gut wisse, daß alles, was er so predige, bloß dummes Zeug sei. Er sei ein Verführer für die ganze Gegend, so recht eigentlich, was man einen Aufwiegler nenne, und rede beständig von Freiheit und Amerika und daß es da besser sei als hier, in diesem dummen Lande. Ja, Frau Menz, das alles hat Opitz geschrieben, und am Schlusse hat er auch noch geschrieben, daß man an Lehnert ein Exempel statuieren müsse, damit das Volk mal wieder sähe, daß noch Ordnung und Gesetz und ein Herr im Lande sei.«
    »Das alles?«
    »Ja, Frau Menz, das alles. Denn das weiß ich schon, weil ich öfter so was lese; wenn er erst mal im Zug ist, dann ist kein Halten mehr, und auf eine Seite mehr oder weniger kommt es ihm dann nicht an, schon weil er eine hübsche Handschrift hat und mitunter zu mir sagt: ›Nu, Christine, wie gefällt dir das große H?‹, und vor allem, weil er gerne so was schreibt von Ordnung und Gesetz und dabei wohl denken mag, so was lesen die Herren gern und halten ihn für einen pflichttreuen Mann. Ja, liebe Frau Menz, so redt er in einem fort zu Haus, und so schreibt er auch, und dann stellt er sich vor meine gute Frau hin und sagt: ›Sieh, Bärbel, ich bin nur ein kleiner Mann, aber das tut nichts, jeder an seinem Fleck, und das weiß ich, ich sorge darfür, daß die Fundamente bleiben, und bin eine Stütze von Land und Thron.‹«
    Christine hätte wohl noch weitergesprochen, aber Lehnert, der schon von früh an oben im Dorf gewesen war, kam eben von Krummhübel zurück, wohin er eine Wagenachse abgeliefert hatte. Christine mocht ihm nicht begegnen, um nicht aufs neue in ein Gespräch verwickelt zu werden, oder vielleicht auch, weil sie die Wirkung der schlimmen Nachricht auf ihn nicht selber sehen wollte. So nahm sie denn ihren Weg über den nach der Waldseite hin gelegenen Brückensteg und kehrte auf einem Umwege und unter Benutzung einiger im Lomnitzbette liegender Steine nach der Försterei zurück.
     
Elftes Kapitel
     
    Frau Menz hatte zu schweigen versprochen, aber sie war unfähig, etwas auf der Seele zu behalten, und so wußte Lehnert nach einer Viertelstunde schon, was Christine berichtet hatte.
    »Laß ihn, er wird nicht weit damit kommen!«
    Er sagte das so hin, um die Mutter, so gut es ging, zu beruhigen, in seinem Herzen aber sah es ganz anders aus, und er ging auf das Fenster zu, das er aufriß, um frische Luft einzulassen. Er hatte diesen Ausgang wohl für möglich, aber, bei der Fürsprache drüben, keineswegs für wahrscheinlich gehalten, und nun sollte doch das Schlimmste kommen, und wenn er sich diesem Schlimmsten entziehen wollte, so gab es nur
ein
Mittel und mußte nun
das
geschehen, womit er bis dahin in seiner Phantasie bloß gespielt hatte: Flucht. Ungezählte Male war es ihm

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