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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Augenblicke wirklich aus dem Walde drüben herausgetreten wäre, so hätt er ihm einen »guten Abend« bieten und trotz aller Bitterkeit im Herzen ein Gespräch über den Koppenwirt oder über den nächsten Krieg oder über die »Görlitzer« mit ihm haben müssen. Er wurd überhaupt wieder unsicher und verlangte nach einem weitern Zeichen, das ihm noch einmal sage, was er zu tun habe. So brach er denn einen dürren Zweig ab und machte zwei Lose daraus, in Länge nur wenig voneinander unterschieden, und tat beide in seinen Hut. Und nun schüttelte er und zog und maß. Er hatte das etwas längere Stück gezogen. »Gut dann... es soll also sein...«, und mit einer Raschheit, in der sich die Furcht vor einem abermaligen Schwanken und Unschlüssigwerden aussprach, erhob er sich von seiner Bank und schlängelte sich mit einer Findigkeit, die deutlich sein Zuhausesein an dieser Stelle zeigte, durch allerhand dichtes Unterholz bis auf eine Waldwiese, die, nach der einen Seite hin, ganz besonders aber in der Mitte, mit riesigen Huflattichblättern überwachsen war, während sie nach der anderen Seite hin in buschhohem Farrenkraut stand, das sich, heckenartig, an einer niedrigen Felswand entlangzog. In Front dieser Buschhecke war nirgends ein Einschnitt, weshalb Lehnert, der dies sehr wohl wußte, seinen Eingang von der Seite her nahm und sich zwischen dem Farrenkraut und der Felswand hindurchdrängte, mit seiner Rechten an dem Gesteine beständig hintastend. Als er bis in die Mitte war, war auch die Felsspalte da, nach der er suchte, freilich nur schmal und eng. Er streifte deshalb den Ärmel in die Höh, um bequemer mit Hand und Unterarm hinein zu können, und nahm, als ihm dies gelungen, aus einer in der Felsspalte befindlichen Nische sein Doppelgewehr heraus, das hier, bis an den Kolben in ein Futteral von Hirschleder gesteckt, seinen Versteck hatte. Gleich danach hielt er auch Pulverhorn und Schrotbeutel in Händen, und abermals einen Augenblick später von einem der von seiner Wohnung her mitgenommenen alten Kalenderblätter einen breiten Streifen abreißend, der als Schußpfropfen dienen sollte, lud er jetzt beide Läufe, setzte die Zündhütchen auf und hakte das mit zwei Drahtösen versehene Stück Werg, das ein falscher Bart war, über die Ohrwinkel. Und nun wand er sich, wie vorher zu diesem Versteck hin, so jetzt mit gleicher Raschheit durch Farrenkraut und Unterholz zurück und trat wieder auf die große Straße hinaus. Er war derselbe nicht mehr. Der flachsene Vollbart, der aus Zufall oder Absicht tief eingedrückte Hut, der Doppellauf über der Schulter – das alles gab ein Bild, das in nichts mehr an den Lehnert erinnerte, der vor einer Viertelstunde noch, schwankend und unsicher, auf der Bank am Quell gesessen hatte.
    »Nun, mit Gott«, sprach er vor sich hin und stieg höher hinauf, auf den Grat des Gebirges zu.
     
    Stiller wurd es, und niemand begegnete ihm. Nur einmal trat ein Rehbock auf eine Lichtung und stand, und Lehnert griff schon nach dem Gewehr, um anzuschlagen. Aber im nächsten Augenblicke war er wieder anderen Sinnes geworden. »Nein, nicht so. Sein Schicksal soll über ihn entscheiden, nicht ich. Ich will ihn nicht heranrufen; ich hab es in eine höhere Hand gelegt.« Und sein Gewehr wieder über die Schulter hängend, schob er sich weiter an den Tannen hin. Aber es waren ihrer nicht allzu viele mehr, immer lichter wurd es zwischen den Stämmen, und kaum hundert Schritte noch, so lag der Wald zurück, und ein breites Stück Moorland tat sich auf, durch das, jetzt, mitten hindurch, der Weg unmittelbar auf den Grat hinaufführte. Wo der Torf nicht zutage lag, war alles von einem gelben, sonnverbrannten Gras überwachsen; dazwischen aber blinkten Sumpf und Wasserlachen, auf deren schwarzer Fläche die Mondsichel sich spiegelte. Kein Leben, kein Laut. Aber während Lehnert dieser Lautlosigkeit noch nachhorchte, klang plötzlich, durch die tiefe Stille hin, ein helles Läuten herauf.
    »Das ist das Kapellchen unten. Das fängt an und läutet den Sonntag ein.«
    Und wirklich, ehe noch eine Minute vergangen, fiel das ganze Tal mit all seinen Kirchen und Kapellen ein, und wie im Wettstreit klangen die Glocken mächtig und melodisch bis auf den Koppengrat hinauf. Und nun war auch Lehnert oben und sah hinab. Der Mond gab eben Licht genug, ihn alles im Tal unten, drin eben ein dünner Nebel aufstieg, wie in einem halben Dämmer erkennen zu lassen. Da lagen die beiden Falkenberge, deren einer seine

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