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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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in Haar und Hand trugen. Und dazu sangen sie:
     
    »Schlesierland! Schlesierland!
    Du
bist es, wo meine Wiege stand.
    Wo die Schneekoppe hoch in die Wolken steigt,
    Wo der Kynast grau die Zinnen zeigt,
    Wo Rübezahl tief im Berge thront,
    Wo Liebe, Frohsinn, Treue wohnt,
    Schlesierland! Schlesierland!
    Du
bist es, wo meine Wiege stand.«
     
    Es war dasselbe Lied, das er in seinen Knabentagen und dann später, bei den Jägern, auf manchem heißen Marsch in Frankreich gesungen hatte. Wie das Lied ihn jetzt ins Herz traf, und er trat zurück, um den jungen Dingern, von denen die meisten ihn kannten, den Weg freizugeben. Sie nickten ihm zu, und eine gab ihm im Vorübergehen den Enzianenkranz, den sie hoch oben im Gebirge gepflückt und geflochten hatte. »Da, Lehnert!« Und kaum, daß sie vorbei waren, so nahmen sie das Lied wieder auf und sangen die letzte Strophe:
     
    »Schlesierland! Schlesierland!
    Du bist es, wo meine Wiege stand,
    Ach, werd ich je dich wiedersehn,
    Im Schatten deiner Tannen gehn,
    Am Hügel meiner Eltern knien
    Und sehen, wie die Wolken ziehn?
    Auch in der Ferne knüpft mich ein Band
    An
dich
, geliebtes Heimatland.«
     
    Lehnert, als sie so sangen, hatte die Schlußzeilen unwillkürlich mitgesungen und wiederholte sie sich, als ob er in diesem Augenblicke schon ein tiefstes Heimweh in seinem Herzen empfunden hätte.
    Dabei war er bis an den Wildzaun gekommen, bis an das Gatter, aus dem die Mädchen eine kleine Weile vorher herausgetreten waren. Er öffnete jetzt seinerseits das aus Holzstämmen zusammengefügte, schwer in den Angeln gehende Tor und ließ es wieder ins Schloß fallen, und der Ton, mit dem es einklinkte, durchfuhr ihn und ließ ihn zusammenschauern. Er war nun drin in dem Waldgehege. Was war geschehen oder doch vielleicht geschehn, wenn er wieder heraustrat? Aber er entschlug sich solcher Gedanken und schritt die geradlinige, steile Straße hinauf, das »Gehänge«, das hier am Gatter seinen Anfang nahm und abwechselnd an hochstämmigem Wald und niedriger Kusselheide vorüberführte. Dann und wann kamen auch Wiesenstreifen und Streifen von Moorgrund. Es war jetzt um die siebente Stunde und die Sonne, für die Talbewohner, noch über dem Horizont, hier oben aber herrschte schon Dämmer und abendliches Schweigen, und nur dann und wann hörte man das Klucken und Glucksen eines bergabschießenden Wasserlaufes oder eine vereinzelte Vogelstimme. Kein Schmettern oder Singen, nur etwas, das wie Klage klang. Am Himmel, der hell leuchtete, wurde die Mondsichel sichtbar, ein blasser Ring, und einmal war es Lehnert, als ginge wer neben ihm her. Aber es war eine Sinnestäuschung, und wenn er seinen Schritt anhielt, schwieg auch der begleitende Schritt im Walde.
    So war er, das »Gehänge« hinauf, schon bis ziemlich hoch gekommen, und durch eine bergan steigende Lichtung im Walde konnt er bereits den Gebirgskamm in aller Deutlichkeit erkennen. Er sah aber nicht lange hinauf, sondern setzte sich, plötzlich der Ruhe bedürftig, auf eine Bank, die man hier, wohl zu Nutz und Frommen bergan steigender Sommergäste, zwischen zwei dicht nebeneinander stehenden Tannen angebracht hatte. Das dachartig überhängende Gezweige war Ursache, daß es um die ganze Stelle her schon dunkelte, trotzdem war es noch hell genug, um alles Nächstliegende deutlich erkennen zu können. An der anderen Seite des Weges sprang ein Quell aus einer nur wenig übermanneshohen Felswand, und der Umstand, daß man dem Quell eine zierliche Holzrinne gegeben und ihn in geringer Entfernung, davon in einen von Moos überwachsenen Steintrog geleitet hatte, gab diesem Rastplatz etwas von einem Waldidyll. An dem Steintroge vorbei zog sich, nicht allzu weit unter dem Kamm hin, ein dem Zuge desselben folgender Pfad, der zuletzt auf die Hampelbaude zulief.
    Lehnert wußte hier Bescheid auf Schritt und Tritt und hatte manch liebes Mal auf dieser Bank gesessen und nach dem Quell hinübergesehen und gehorcht, ob vielleicht Opitz aus dem Unterholz heraustreten würde. Fast zu gleichem Zwecke saß er wieder hier, und als sich's drüben einen Augenblick wie regte, schoß ihm das Blut zu Kopf, und er griff unwillkürlich nach links, wie wenn er, der doch noch ohne Waffe war, das Gewehr von der Schulter reißen wollte. Rasch aber entschlug er sich seiner Erregung wieder, und an ihre Stelle trat ein Lächeln. War er doch mit nichts ausgerüstet als mit einer Tasche, wie sie die Führer und Botenläufer tragen, und wenn Opitz in diesem

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