Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
eine Freude gewesen, von dem elenden Leben in diesem Sklavenlande zu sprechen, von der Lust, dieser Armseligkeit und Knechterei den Rücken zu kehren und übers Meer zu gehen, und doch – jetzt, wo die Stunde dazu da war, das immer wieder und wieder mit Entzücken Ausgemalte zur Tat werden zu lassen, jetzt wurd er zu seiner eigenen Überraschung gewahr, wie sehr er seine Heimat liebe, sein Schlesierland, seine Berge, seine Koppe. Das sollte nun alles nicht mehr sein. Um nichts, oder um so gut wie nichts, war er das erstemal von Opitz zur Anzeige gebracht worden, und um nichts sollt es wieder sein. Was war es denn? Ein Has, der in seinem Kornfeld gesessen und den er über Eck gebracht hatte. Das war alles, und dies alles war eben nichts. Und wenn es etwas war, wer war schuld daran? Wer anders als »der da drüben«, der ihm den Dienst verleidet hatte, sonst wär alles anders gekommen, und er wäre, was eigentlich sein Ehrgeiz und seine Lust war, bei den Soldaten geblieben und hätte seinem König weiter gedient und hätte jedes Jahr Urlaub genommen und wäre dann mit dem Hirschfänger und dem Czako durch die Dorfstraße gegangen, und alles hätte gegrüßt und sich über ihn gefreut. »Um all das hat er mich gebracht, weil er mir's mißgönnte, weil er nicht wollte, daß wer neben ihm stünde. Ja, er ist schuld, er allein. Um das Kreuz hat er mich gebracht, aber mein Haus- und Lebenskreuz war er von Anfang an und hat mich geschunden und gequält, und wie damals, so tut er's auch heute noch. Er hat mir das Leben verdorben und mein Glück und meine Seligkeit.«
    Als er das letzte Wort gesprochen, brach er ab und sah vor sich hin. Alles, was in Nächten, wenn er nicht schlief, ihm halb traumhaft erschienen war, erschien ihm in diesem Augenblicke wieder, aber nicht als ein in Nebelferne vorüberziehendes Bild, sondern wie zum Greifen nah, und in seiner Seele klang es noch einmal nach: »und meine Seligkeit«.
    Es war Mittag, und Frau Menz brachte die Mahlzeit. Aber Lehnert aß nicht, und als die Alte ihm zuredete, wies er es kurzerhand ab, stand auf und ging in seine Kammer, um, was ihn peinigte, loszuwerden und Ruhe zu suchen. Wenn er hätte schlafen können! Aber er fühlte nur, wie's hämmerte. Mit einem Male sprang er auf. »Nein, ich bleibe.
Nicht
fort. Ich will nicht fort. Einer muß das Feld räumen, gewiß. Aber warum soll
ich
denn der eine sein? Warum nicht der andere? Mann gegen Mann... und oben im Wald... und heute noch. Ich sage nicht, daß ich's tun will, ich will es nicht aus freien Stücken tun, nein, nein, ich will es in Gottes Hand legen, und wenn
der
es fügt, dann soll es sein... Und das Papier drüben und alles, was drin steht, das will ich schon aus der Welt schaffen... Und wenn ich ihm
nicht
begegne, dann soll es
nicht
sein, und dann will ich mich drein ergeben und will ins Gefängnis oder will weg und über See.«
    Lehnert war klug genug, alles, was in diesen seinen Worten Trugschluß und Spiegelfechterei war, zu durchschauen; aber er war auch verrannt und befangen genug, sich drüber hinwegzusetzen, und so kam es, daß er sich wie befreit fühlte, nach all dem Schwanken endlich einen bestimmten Entschluß gefaßt zu haben. Er wartete bis um die sechste Stunde, legte dann, wie stets, wenn er ins Gebirge wollte, hirschlederne Gamaschen an und stieg, als er sich auf diese Weise marschfertig gemacht hatte, von seiner Bodenkammer wieder in die Wohnstube hinunter. Hier riß er aus dem unter der Jagdflinte hängenden Kalender ein paar Blätter heraus und wickelte was hinein, was wie Flachs oder Werg aussah. Alles aber tat er in eine Ledertasche, wie sie die Botenläufer tragen, gab dann der Alten, unter einem kurzen »Adjes, Mutter«, die Hand und ging auf das sogenannte »Gehänge« zu, den nächsten Weg zum Kamm und zur Koppe hinauf. Drüben in der Försterei schien alles ausgeflogen. Nur Diana lag auf der Schwelle und sah ihm nach.
     
    Lehnert verfolgte seinen Weg, der ihn zunächst an den letzten Häusern von Wolfshau vorüberführte. Von hier aus bis zu dem das gräfliche Jagdrevier auf Meilen hin einhegenden Wildzaun waren keine tausend Schritt mehr, ein mit Kusseln besetztes, von einem schmalen Weg durchschnittnes Waldvorland, auf dem sich in diesem Augenblick eine Krummhübler Kinderschar heranbewegte, lauter halbwachsene Mädchen, die, von ihrem Lehrer geführt, eine Tagespartie nach der Schwarzen Koppe hinauf gemacht hatten. Lehnert blieb stehen; als sie näher kamen, sah er, daß sie Blumen

Weitere Kostenlose Bücher