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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Zacken phantastisch emporstreckte, dahinter aber waren die Friesensteine, noch von einem letzten Widerscheine des Abendrots überglüht.
    Lange sah er hinab, bis der Widerschein verblaßt und das weite Tal unten nichts mehr als eine Nebelkufe war. Nur um ihn her war noch klare Luft, und die Mondsichel blinkte.
    »Wohin jetzt?« fragte er sich.
    Er sah nach links hin, den Grat entlang, und bemerkte das Licht, das oben auf der Koppe schimmerte.
    »Wenn ich mich ranhalte, bin ich in zwanzig Minuten oben... Und dann bin ich ihm
nicht
begegnet. Aber warum nicht? Weil ich ihm nicht begegnen
konnte
, weil ich ihm aus dem Wege gegangen bin. Ist das das Rechte? Heißt das sein Schicksal befragen? Ich
darf
ihm nicht aus dem Wege gehen, das ist kein richtig Spiel; ich muß dahin, wo sich's begegnen läßt... Da ist mein Platz.«
    Und rasch entschlossen wandt er sich wieder und schritt denselben Weg zurück, auf dem er gekommen war.
    Solang er das Moor und seine freie Fläche zu seiten hatte, hing er allerhand Träumereien nach, kaum aber daß der Hochwald wieder um ihn her war, so schien auch sein Auge zwischen den Stämmen hin das Dunkel durchdringen zu wollen. Aber es blieb trotzdem, wie's war, und er war schon wieder bis an jene Wegstelle, wo sich die Bank befand und der Quell in den Steintrog fiel, ohne daß sich etwas geregt oder ihm auch im geringsten nur die Gegenwart seines Gegners verraten hätte. »Was soll er auch hier auf der großen Straße? Feige bin ich, nichts als Feigheit.« Und sich von der Bank her, drauf er abermals eine kurze Rast genommen, zum Weitergehen anschickend, bog er drüben in den am Steintroge vorüberführenden Querpfad ein, der in langer Linie, waagrecht und ohne jede Steigung, auf die Hampelbaude zulief. »Da will ich hin. In der Hampelbaude will ich schlafen. Und hab ich ihn bis dahin nicht getroffen, so soll es nicht sein. Und ich muß ins Prison oder in die weite Welt.«
    Er mußte so sprechen, denn er wußte nur zu gut, daß er bis dahin mit der Begegnungsfrage bloß gespielt hatte. Jetzt aber mußte sich's zeigen. Und wunderbar, statt erregter zu werden, ward er mit jedem Augenblicke stiller und seine Seele ruhiger, vielleicht, weil er jetzt ein Ende absah. Und ihn verlangte danach, so oder so. Nur eines war ihm lästig, die Mondsichel blinkte so hell, als ob Vollmond wäre. »Der Bart ist doch immer nur eine halbe Verkleidung. Und wenn die Toten auch schweigen... Es wäre besser, die Wolke drüben legte sich vor.«
    Und wirklich, sie tat's. Und was jetzt niederflimmerte, war nur noch das matte Licht der Sterne...
    Da kam wer auf ihn zu. »Steh!« Opitz war um eine Wegecke gebogen und hielt auf fünf Schritt.
    Und Lehnert stand.
    »Gewehr weg! Was ein Richtiger ist, der weiß, wie sich's gehört. Aber du bist wohl ein Böhm'scher... Eins, zwei...«
    Lehnert, das Gewehr in der Hand, zögerte noch.
    »Gewehr weg... drei.« Und im selben Augenblicke schlug der Hahn auf das Piston. Aber das Zündhütchen versagte.
    Und nun schlug Lehnert an, und zwei Schüsse krachten.
    Opitz brach zusammen.
    In engem Bogen an ihm vorbei ging Lehnert auf die Hampelbaude zu.
     
Zwölftes Kapitel
     
    Zehn Uhr war durch, als Lehnert, der inzwischen sein Gewehr an einem anderen Versteckort wieder untergebracht hatte, bei der Hampelbaude eintraf. Trotz später Stunde war noch Leben drin, sogar Tanz, zu dem zwei böhmische Harfenistinnen von mittleren Jahren und ein zwölfjähriger Geiger lustig aufspielten. Lehnert setzte sich und ließ sich ein Nachtessen geben, als es aber vor ihm stand, schob er es wieder zurück und sprach nur dem Bier zu. Was um ihn her tanzte, waren Sommergäste, darunter Mütter, die dicht vor der silbernen Hochzeit, und Töchter, die dicht vor der ersten Konfirmationsstunde standen. Auch die Väter waren, in Ermangelung anderen Tanzmaterials, mit herangezogen worden, behäbige Männer mit ängstlich kurzen Hälsen, die durch Bemerkungen wie »frei weg« oder »immer feste« jeder weiteren Legitimation hinsichtlich ihres Wohnorts entbehren konnten. Dazwischen trippelten die Backfische mit hohen Knöpfstiefeln und lang herabhängendem Haar, dessen letzte natürliche Welle dem voraufgegangenen sechsstündigen Marsch in Julihitze längst zum Opfer gefallen war. Zwei, die vierzehn und dreizehn sein mochten, hatten ernste Freundschaft geschlossen und gingen, während der Tanzpausen, um die Taille gefaßt, in dem mit Petroleumqualm gesättigten Saalzimmer auf und ab.
    »Sieh, Ulrike, sieh bloß

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