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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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einen neuen halbwachen Fiebertraum gefallen. Was er darin erlebte, war ein Gemisch von dem, was der Apostel die vorige Nacht im Ostrianum von jenem Tag erzählt hatte, an dem Christus am See Tiberias erschien, und was ihm seine wirren Phantasien vorgaukelten. Er sah eine ausgedehnte Wasserfläche. Darauf schwamm ein Fischerkahn, und im Kahn saßen Petrus und Lygia. Er, Vinicius, schwamm mit allen Kräften diesem Kahne zu. Aber der Schmerz in seinem gebrochenen Arm hinderte ihn, den Kahn einzuholen. Der Wind trieb Wellen in seine Augen; er begann zu sinken und rief verzweifelt um Hilfe. Lygia fiel dem Apostel zu Füßen. Dieser wandte den Kahn und hielt ihm ein Ruder hin, das Vinicius ergriff. Mit ihrer Hilfe stieg er in den Kahn; dort fiel er kraftlos zu Boden.
    Dann schien es ihm, als sei er wieder aufgestanden und sehe eine große Menschenmenge dem Kahne nachschwimmen. Die Wogen überspritzten die Köpfe mit Schaum; nur die Hände weniger waren sichtbar. Petrus aber zog immer mehr Ertrinkende in den Kahn, der wie durch ein Wunder immer größer wurde und bald eine Schar trug gleich jener, die sich im Ostrianum versammelt hatte. Vinicius konnte sich nicht erklären, daß der Kahn die beständig wachsende Menge zu fassen vermochte; er fürchtete, sie alle würden zugrunde gehen. Lygia tröstete ihn, indem sie auf ein Licht hinwies, das in der Ferne den Hafen beleuchtete, dem sie zutrieben. Dieses Traumbild war infolge der im Ostrianum gehörten Schilderung von der Erscheinung Christi auf dem See entstanden. In jenem Lichte am Ufer sah er jetzt eine Gestalt, auf die Petrus zusteuerte. Je näher sie ihr kamen, desto ruhiger wurde die Witterung, desto glatter die Flut, desto größer das Licht. Die Insassen des Kahnes sangen sanfte Hymnen; die Luft war voll Nardenduft. Das Spiel der Wellen bildete einen Regenbogen, und Lilien und Rosen bedeckten den Grund des Sees. Endlich lief der Kahn ungefährdet im Ufersande auf. Lygia ergriff Vinicius bei der Hand und sagte: ‚Komm, ich will dich führen!‘ Und sie führte ihn dem Lichte zu.
    Vinicius erwachte wieder, doch der Traum ließ ihn nicht so schnell los, so daß er erst nach und nach zum Bewußtsein der Wirklichkeit gelangte. Lange glaubte er, noch auf dem Wasser zu sein, inmitten einer riesigen Menge, in der er, warum, wußte er selber nicht, nach Petronius auszuschauen begann und erstaunt war, ihn nicht zu finden.
    Der helle Schein des Kaminfeuers, an dem niemand mehr saß, weckte ihn vollständig. Olivenholz verbrannte langsam unter der Asche. Pinienspäne, die offenbar kurz zuvor ins Feuer gelegt worden waren, loderten empor in heller Flamme, in deren Schein Vinicius Lygia nicht weit von seinem Lager entfernt erblickte.
    Ihr Anblick rührte ihn tief. Er erinnerte sich daran, daß sie die vorige Nacht im Ostrianum zugebracht und den ganzen Tag hindurch sich seiner Pflege gewidmet hatte. Und jetzt, wo alle ruhten, blieb sie wach. Ihre gesenkten Lider und ihre ganze Haltung zeigten deutlich, wie ermüdet sie war. Vinicius konnte nicht unterscheiden, ob sie schlief oder in Gedanken versunken war. Er betrachtete ihr Profil, die im Schoße liegenden Hände, und in seinem heidnischen Geiste dämmerte die Erkenntnis auf, daß neben körperlicher, selbstbewußter Schönheit es noch eine andere unverwelkliche, reine, beseelte Schönheit gebe.
    Er brachte es nicht über sich, dies christliche Schönheit zu nennen; dennoch konnte er sich Lygia nicht mehr ohne die Religion denken, die sie bekannte. Er sagte sich, wenn sie, nachdem alle zur Ruhe gegangen, allein bei ihm wachte, sie, die er verfolgt hatte, so konnte nur ihr Glaube sie dazu bewogen haben. Der Gedanke war ihm unangenehm, obschon er ihn mit Bewunderung für diese Religion erfüllte. Lieber wäre ihm die Gewißheit gewesen, Lygia handle so aus Liebe zu ihm, zu seinem Antlitz, seinen Augen, seiner ganzen Erscheinung, kurz aus Gründen, aus denen mehr denn einmal die weißen Arme von Griechinnen und Römerinnen ihn umschlungen hatten. Dennoch sah er ein, daß ihr etwas fehlen würde, wäre sie wie andere Frauen. Neue, ihm bisher fremde Empfindungen erwachten in seiner Seele, so daß er über sich selber erstaunte.
    Sie schlug die Augen auf, sah, daß sein Blick auf ihr ruhte, und näherte sich seinem Lager.
    „Ich bin bei dir.“
    „Ich sah im Traume deine Seele“, erwiderte er.

XXVI
    Am folgenden Morgen erwachte er wohl mit dem Gefühl der Schwäche, aber mit kühlem Kopf und fieberfrei. Er glaubte, ein leises

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