Quo Vadis
Eingebung Christi Werk war. „Oh, wäre es so!“ rief er in Gedanken aus. Er würde an Nero Lygias Gefahr und seine Angst um sie rächen; das Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit würde beginnen, Christi Lehre vom Euphrat bis zu Britanniens Nebelküsten herrschen; er würde Lygia in Purpur kleiden und sie zur Herrin der Welt machen.
Allein diese Gedanken, die gleich Funken aus einem brennenden Hause durch seinen Kopf geflogen waren, erloschen auch wie Funken. Vor allem mußte Lygia gerettet werden. Vinicius war jetzt auf dem Schauplatz der Katastrophe; Angst ergriff ihn neuerdings, und angesichts dieses Meeres von Feuer und Rauch, mitten in dieser gräßlichen Wirklichkeit erstarb die Hoffnung, Petrus möchte Lygia gerettet haben, gänzlich in seiner Seele. Verzweiflung bemächtigte sich seiner, als er die Via Portuensis erreichte, die unmittelbar zum andern Tiberufer führte. Er raste weiter bis zum Tor, wo er durch Flüchtlinge die Aussage bestätigt fand, dieser Teil der Stadt stehe noch nicht in Flammen, jedoch sei das Feuer an mehreren Stellen über den Fluß gedrungen.
Trotzdem war die Stadt drüben in Rauch gehüllt, und das Gedränge in den Straßen machte ein Vordringen um so schwieriger, als hier größere Mengen von Gütern fortgeschafft wurden. Die Hauptstraße war an vielen Stellen gänzlich versperrt; in der Nähe der Naumachia Augusti waren Berge von Hausrat angehäuft. Enge Gassen konnten des dichten Rauches wegen schlechterdings nicht benutzt werden. Die Bewohner flohen zu Tausenden. Mehr als einmal stießen zwei entgegengesetzte Ströme von Menschen in der Enge aufeinander und brachten sich gegenseitig zum Stehen. Man schlug aufeinander los und trat sich mit Füßen. Familien verloren sich im Handgemenge; Mütter riefen verzweifelt nach ihren Kindern. Vinicius standen die Haare zu Berge, wenn er daran dachte, was erst in der Nähe des Feuers geschehen mußte. Der Lärm machte es unmöglich, etwas zu erfragen oder zu verstehen. Von Zeit zu Zeit flogen neue Rauchsäulen von jenseits des Flusses herüber, schwarzer, schwerer Rauch, der am Boden hintrieb und Häuser und Menschen in nächtliches Dunkel hüllte. Doch der Wind trieb ihn wieder hinweg, und dann spornte Vinicius sein Pferd und flog der Straße zu, wo Linus’ Haus stand. Die Julihitze, vermehrt durch die Glut der brennenden Stadtteile, wurde unerträglich. Der Rauch schmerzte in den Augen; die Lunge fand keine Luft mehr. Jene Bewohner, die in der Annahme, das Feuer werde sich auf das andere Ufer beschränken, bis jetzt ihre Häuser nicht verlassen hatten, flohen nun auch, so daß das Gedränge von Minute zu Minute anschwoll. Die Prätorianer, die Vinicius begleiteten, blieben allmählich zurück. Im Gedränge schlug jemand mit einem Hammer das Pferd des Tribuns, das sich hoch aufbäumte und den Gehorsam verweigerte. Man erkannte an der reichen Tunika den Augustianer und begann zu schreien: „Tod Nero und seinen Mordbrennern!“ Die Gefahr war groß, tausend Hände suchten Vinicius zu fassen, doch sein scheu gewordenes Pferd trug ihn hinweg, indem es zu Boden trat, was ihm nicht auswich. Im nächsten Augenblick hüllte eine neue Rauchwolke die Straße in Finsternis. Vinicius erkannte, daß das Pferd ihm hier nur hinderlich sei. Er sprang herab und stürzte zu Fuß vorwärts, indem er sich an den Mauern entlangbewegte und zuweilen stehenblieb, bis die fliehende Menge vorbei war. Er sagte sich im stillen, daß seine Mühe vergeblich sei. Lygia konnte schon entflohen sein. Leichter wäre es, am Meeresufer eine Nadel zu finden als Lygia in diesem Chaos. Dennoch wollte er bis zum Hause des Linus vordringen, und sollte es sein Leben kosten. Oft blieb er stehen und rieb sich die Augen. Einen Zipfel der Tunika riß er los, bedeckte sich Nase und Mund damit und eilte weiter. Je näher er dem Flusse kam, desto sengender wurde die Glut. Vinicius wußte, daß der Brand zuerst im Circus Maximus ausgebrochen war, und glaubte daher, die Hitze rühre von dorther und vom Forum Boarium und Velabrum, die beide, da sie in der Nähe des Zirkus sich befanden, gleichfalls in Flammen stehen mußten. Allein die Glut wurde unerträglich. Ein Greis, der auf Krücken floh, rief ihm zu: „Geh nicht zur Brücke des Cestius; die ganze Insula ist eine Flamme.“ Es war der letzte Flüchtling, dem Vinicius begegnete, Hoffnung war nun nicht länger möglich. Zum Vicus Judaeorum einbiegend, wo Linus’ Haus stand, sah Vinicius Feuer durch den Rauch züngeln. Nicht nur
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