Quo Vadis
und sangen zur Ehre Gottes. Das Volk lauschte, die härtesten Herzen fühlten Erbarmen, wenn an kleineren Pfählen Kinder schrien: „Mama! Mama!“ Entsetzen durchrieselte selbst die Betrunkenen, wenn sie kleine Köpfchen, unschuldige Gesichtchen qualverzerrt oder Kinder vom erstickenden Rauch ohnmächtig sahen. Doch die Flammen stiegen höher und höher. Haupt- und Seitenpfade waren davon hell beleuchtet, das Wasser der Teiche glänzte, die Blätter an den Bäumen schienen rot gefärbt; die Nacht war taghell geworden. Sobald der Geruch verbrannten Fleisches sich bemerkbar machte, wurden durch Sklaven Myrrhe und Aloe zwischen die Pfähle in Räucherpfannen gestreut. Da und dort ertönten Rufe aus der Menge, ob vor Mitleid oder Entzücken, war nicht zu erkennen; auch sie schwollen zusehends mit dem Feuer an, das die Pfähle umzüngelte, die Brust der Opfer ergriff, ihre Haare versengte, Schleier über die geschwärzten Gesichter warf und höher loderte, als wolle es den Triumph jener dämonischen Macht beweisen, die es angefacht hatte.
Gleich beim Beginn des Schauspiels war Nero in prachtvoller, von vier Schimmelhengsten gezogener Zirkusquadriga unter der Menge erschienen. Er war als Wagenlenker gekleidet, in der Farbe der Grünen – seiner Partei und der des Hofes. Ihm folgten andere Wagen mit Augustianern in Prunkgewändern: Senatoren, Priester, Bacchanten, nackt und bekränzt, Weinkrüge haltend, zum Teil betrunken und wild jauchzend. Ihnen zur Seite kamen in Gestalt von Faunen und Satyrn Musikanten mit Zithern, Tuben, Flöten und Hörnern. Andere Wagen brachten bejahrte Matronen und junge Mädchen Roms, betrunken und halbnackt. Die Wagen umsprangen Männer, die mit Bändern geschmückte Thyrsusstäbe schwangen, andere schlugen Trommeln, wieder andere streuten Blumen umher.
„Evoe!“ rufend, fuhr diese Aristokratie Roms auf dem breitesten Pfade des Gartens dahin, mitten durch Rauch und Gedränge hindurch. Nero, der Tigellinus und Chilon mit sich hatte und sich am Entsetzen des Griechen ergötzen wollte, lenkte die Hengste eigenhändig. Im Schritt fahrend, weidete er sich am Anblick brennender Leiber, lauschte den Zurufen der Menge. Auf seinem hohen, vergoldeten Wagen stehend, umwogt von einem Meere von Menschen, die sich vor ihm beugten, im Scheine des Feuers, unter der goldenen Krone eines Siegers im Zirkus, ragte er um Haupteslänge über sein Gefolge und das Volk hinaus, schien ein Riese zu sein. Seine ungeheuren, vorwärts gestreckten, die Zügel haltenden Arme schienen die Menschen zu segnen. Ein Lächeln lag in den blinzelnden Augen und auf dem Gesichte; er glänzte hoch über der Menge wie eine Sonne oder ein Gott, furchtbar, gebietend und machtvoll.
Zuweilen hielt er an, um mit Muße junge Mädchen zu betrachten, deren Brust das Feuer erfaßt hatte, oder das krampfhaft verzerrte Gesicht eines Kindes. Dann trieb er die Hengste wieder an. Bisweilen grüßte er das Volk oder zog die goldenen Zügel an sich und sprach mit Tigellinus. Bei der großen Fontäne in der Mitte von zwei sich kreuzenden Wegen angekommen, entstieg er der Quadriga, gab seinem Gefolge einen Wink und mischte sich unter die Menge. Jubelnder Beifall begrüßte ihn. Bacchanten, Nymphen, Senatoren, Augustianer, Priester, Faune, Satyrn und Krieger umringten ihn in tollem Kreise; zwischen Tigellinus und Chilon schreitend, umging er die Fontäne, an der etwa zehn lebende Fackeln loderten; vor jeder stehenbleibend, äußerte er Bemerkungen über die Opfer oder stichelte den alten Griechen, aus dessen Zügen grenzenloses Entsetzen sprach. Endlich hielt er vor einem hohen, efeuumrankten Pfahle an. Die Flammen leckten erst die Knie des Opfers; doch war sein Gesicht durch den Rauch, der es umhüllte, nicht erkennbar. Bald trieb der leichte Nachtwind den Qualm hinweg und enthüllte ein greises Haupt mit weißem, bis auf die Brust herabfallendem Haar.
Chilon wand sich bei diesem Anblick wie eine verwundete Schlange. Aus seiner Brust drang der gellende Schrei:
„Glaukos! Glaukos!“
Glaukos, der Arzt, sah vom brennenden Pfahle auf ihn herab.
Glaukos lebte noch. Sein Antlitz neigte sich, um seinen Henker zum letztenmal sehen zu können, den Mann, der ihn verraten, ihm Weib und Kinder geraubt, Mörder gegen ihn gedungen hatte und, nachdem ihm Glaukos im Namen Christi alles verziehen, ihn den Schergen überantwortet hatte. Nie wohl hatte es einen Menschen gegeben, der seinem Nächsten größeres Leid zugefügt hatte. Und jetzt hing das Opfer am
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