Quo Vadis
amtlicher Personen sein. Würdest du da erkannt, so wären ich und meine Kinder verloren.“
Vinicius verstand, daß er vergeblich auf seiner Forderung beharren würde. Doch hoffte er, die Soldaten, denen er ja bekannt war, würden ihn auch ohne Tessera einlassen. Bei einbrechender Nacht verkleidete er sich deshalb wie gewöhnlich als Leichenträger und begab sich, ein Tuch um den Kopf gewunden, zum Gefängnis. An diesem Abend wurden jedoch die Tesserae strenger als sonst geprüft, und um das Mißgeschick vollzumachen, erkannte ihn der Zenturio Scaevinus, ein strammer, dem Cäsar mit Leib und Leben ergebener Soldat. Unter dessen eisenbekleideter Brust war aber noch nicht jedes Fünkchen Mitleid für das Unglück anderer erloschen. Anstatt seinen Speer zu gebrauchen und damit die Aufmerksamkeit auf Vinicius zu lenken, ließ er ihn unbehelligt und sagte nur:
„Geh nach Hause, Herr! Ich kenne dich! Weil ich aber dein Verderben nicht will, so werde ich schweigen. Ich darf dich nicht einlassen; geh deines Weges, und die Götter mögen dir Trost spenden!“
„Du darfst mich nicht einlassen“, sagte Vinicius; „erlaube mir aber wenigstens, hier stehenzubleiben und die zu sehen, die abgeführt werden.“
„Das ist nicht gegen meinen Befehl“, sagte Scaevinus.
Vinicius stand vor dem Tore und wartete. Um Mitternacht öffnete es sich weit, und ganze Reihen Gefangener, Männer, Frauen, Kinder, erschienen inmitten bewaffneter Prätorianer. Die Nacht war sehr hell, man konnte nicht nur die einzelnen Gestalten, sondern auch deren Gesichtszüge unterscheiden. Die Gefangenen gingen zu zweien, ein langer, düsterer Zug, und die Stille der Nacht wurde nur vom Geräusch der Waffen unterbrochen. Es waren so viele der Abgeführten, daß man hätte vermuten können, alle Kerker seien geleert. Unter den letzten im Zuge befand sich Glaukos, der Arzt, den Vinicius deutlich erkennen konnte; Lygia und Ursus waren nicht dabei.
LXII
Am nächsten Tage war die Dunkelheit noch nicht eingetreten, als schon die ersten Volkswogen sich in des Cäsars Garten ergossen. In Feiertagskleidern, mit Blumen bekränzt, ausgelassen, singend, zum Teil auch betrunken, harrte die Menge des neuen Schaustücks. „Semaxii! Sarmentitii!“ jubelte man in der Via Tecta, auf der Ämilianischen Brücke, jenseits des Tibers, auf der Via Triumphalis, rings um den Zirkus Neros und in der Richtung des Vatikanischen Hügels. An Pfählen verbrennende Verurteilte sah zwar Rom nicht zum erstenmal, doch eine solche Opferzahl wie heute war noch nicht dagewesen.
Nero und Tigellinus wollten die Christen auf einmal abtun und die Ansteckung, die mehr und mehr aus den Kerkern in die Stadt drang, von Grund aus beseitigen. Sie ließen daher alle Gefängnisse leeren, so daß nur wenige für den Schluß der Spiele Bestimmte zurückblieben. Staunen ergriff die Menge, als sie die Gärten betrat. Alle Haupt- und Seitenpfade zwischen Hainen, Rasen, Buschgruppen, Teichen und Blumenbeeten wimmelten von pechbeschmierten Pfählen, woran Christen gebunden waren. An höher gelegenen Stellen, wo die Bäume den Blick nicht versperrten, konnte man ganze Strecken von Pfählen und Leibern, mit Blumen, Efeu und Myrten bekränzt, sehen, die sich in der Ferne verloren, so daß, was in der Nähe ein Pfahl war, in der Ferne wie ein bunter Wurfspieß oder Stab erschien. Die Anzahl übertraf bei weitem die Erwartungen des Volkes. Eine ganze Nation schien zu Neros und Roms Belustigung an Pfähle gebunden. Die drängenden Haufen der Zuschauer machten vor einzelnen Pfählen halt, wenn die Gestalt oder das Geschlecht eines Opfers ihre Aufmerksamkeit erregten; sie betrachteten die Gesichter, die Kränze und Efeugirlanden, gingen weiter und fragten sich verwundert: „Konnte es so viele Verbrecher geben? Wie konnten Kinder Rom in Brand stecken, die kaum zu stehen vermögen?“ Und die Verwunderung ging allmählich in eine dumpfe Furcht über.
Inzwischen trat Dunkelheit ein. Am Himmel blinkten die ersten Sterne. Neben jedes Opfer stellte sich ein Sklave hin, der eine Fackel in der Hand hielt. Sobald Trompetenstöße den Anfang des Schauspiels verkündeten, legte jeder Sklave seine Fackel an den Fuß des Pfahles. Das in Pech getauchte, unter Blumen versteckte Stroh fing Feuer und sandte eine Lohe empor, die den Efeu versengte und die Füße der Opfer ergriff. Wortlos sah die Menge zu; die Gärten widerhallten von Stöhnen und Schmerzensschreien. Einige der Brennenden schauten zum gestirnten Himmel empor
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