Quo Vadis
Leben.
Vinicius kniete nun wieder an Lygias Seite. Mondstrahlen drangen jetzt durch das Gitter und gaben ein stärkeres Licht als die Kerze über dem Eingang. Lygia schlug die Augen auf und sagte, indem sie die fieberheiße Hand auf Vinicius’ Arm legte:
„Ich sehe dich; ich wußte, daß du kommen würdest.“
Er ergriff ihre Hände und drückte sie an seine Stirn und sein Herz; dann hob er die Kranke ein wenig in die Höhe und zog sie an seine Brust.
„Ich bin gekommen, Geliebte. Christus beschütze und rette dich, teure Lygia!“
Seine Stimme versagte; sein Herz wollte vor Liebe und Schmerz brechen. Allein er suchte in ihrer Gegenwart gefaßt zu erscheinen.
„Ich bin krank, Marcus“, sagte Lygia, „und muß entweder hier oder in der Arena sterben. Ich habe gebetet, dich vor dem Tode noch einmal sehen zu dürfen. Du bist nun da – Christus erhörte mich.“
Unfähig, ein Wort zu stammeln, preßte er sie an seine Brust, während sie fortfuhr:
„Ich sah dich durchs Fenster vom Tullianum aus. Ich sah, daß du zu mir kommen wolltest. Nun gibt mir der Heiland auf einen Augenblick das Bewußtsein wieder, so daß wir voneinander Abschied nehmen können. Ich gehe zu ihm, Marcus; doch ich liebe dich und werde dich ewig lieben.“
Vinicius bezwang sich und suchte seine Stimme ruhig erscheinen zu lassen, während er antwortete:
„Nein, Geliebte, du wirst nicht sterben. Der Apostel hieß mich glauben und versprach, für dich zu beten. Er kannte den Heiland; der Heiland liebte ihn und kann ihm die Erhörung nicht versagen. Müßtest du sterben, so hätte mir Petrus nicht befohlen zu vertrauen. Doch er sagte: Vertraue! Nein, Lygia, Christus wird sich erbarmen! Er wünscht nicht deinen Tod. Er wird es nicht zulassen. Ich schwöre dir beim Namen des Erlösers, daß Petrus für dich betet.“
Sie schwiegen. Die Kerze über dem Eingang ging aus, doch der Mond blinkte durch das Gitter. In der gegenüberliegenden Ecke des Kellers jammerte ein Kind. Von draußen her hörte man die Stimmen der Prätorianer, die nach der Ablösung scriptae duodecim, ein Spiel mit zwölf Karten, spielten.
„O Marcus“, sagte Lygia, „Christus selber rief zum Vater: ‚Nimm diesen bitteren Kelch von mir‘; dennoch trank er ihn. Der Heiland starb am Kreuz, und Tausende gehen um seinetwillen in den Tod. Wie sollte er dann mich allein verschonen? Wer bin ich, Marcus? Petrus sagt, auch er werde unter Martern sterben. Als die Prätorianer mich ergriffen, fürchtete ich Tod und Qualen; aber ich fürchte sie jetzt nicht mehr. Sieh, wie schrecklich dieser Kerker ist! Doch ich gehe in den Himmel. Hier ist der Cäsar, dort aber der Heiland, gnädig und barmherzig. Dort gibt es keinen Tod. Du liebst mich; darum bedenke doch, welche Seligkeit mich dort erwartet. O Marcus, bedenke, daß wir uns dort wiederfinden.“
Sie hielt inne, um der kranken Brust Atem zu verschaffen; dann zog sie seine Hand an die Lippen.
„Marcus!“
„Was, mein Herz?“
„Weine nicht um mich und vergiß es nicht, daß du mich wiederfinden wirst. Mein Leben war kurz; doch hat Gott mir deine Seele geschenkt. Laß mich Gott sagen, daß du mich sterben sahest, daß du vor Kummer dich abhärmst, doch nie seinen Willen lästerst und ihn ewig lieben wirst. Wirst du ihn lieben und ergeben meinen Tod ertragen? Dann wird er uns vereinen. Ich liebe dich und wünsche, auf immer mit dir vereint zu werden.“
Der Atem versagte ihr; kaum hörbar endigte sie:
„Versprich mir dies, Marcus!“
Vinicius schlang die zitternden Arme um sie und sagte:
„Bei deinem heiligen Haupte! Ich gelobe es.“
Ihr weißes Antlitz strahlte im trüben Mondschein. Noch einmal zog sie die Hand des Geliebten an die Lippen und flüsterte:
„Ich gehöre zu dir – für ewig.“
Jenseits der Kerkermauern wurden die kartenspielenden Wachen lauter und lauter. Vinicius aber und Lygia vergaßen den Kerker, die Wachen, die Welt; sie fühlten sich über alles um sie herum hinausgehoben und begannen zu beten.
LXI
Drei Tage, richtiger gesagt, drei Nächte, störte nichts ihren Frieden. Nachdem die gewöhnliche Gefängnisarbeit getan war, die darin bestand, die Toten von den Lebenden und die Schwerkranken von den übrigen zu trennen, nachdem die ermüdeten Wachen sich zum Schlafe niedergelegt hatten, kam Vinicius in Lygias Kerker und blieb dort bis Tagesanbruch. Sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter, und mit leiser Stimme sprachen sie von Liebe und Tod. Im Denken und Reden, in den Wünschen und
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