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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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kann?“
    Und nachdenklich schritten sie heimwärts.
    Doch Chilon irrte ziellos in den Gärten umher. Er war wieder der schwache, kranke, hilflose Greis. Bald strauchelte er über halbverbrannte Leiber, bald stieß er gegen einen noch nicht völlig verbrannten Körper und wurde mit einer Flut von Funken überschüttet; bald setzte er sich und starrte wie leblos vor sich hin. Die Gärten waren jetzt beinahe finster geworden. Der Mond warf da und dort ein unsicheres Licht über die Bäume hinweg auf die Alleen, die daliegenden verkohlten Pfähle und deren formlose Opfer. Allein der Grieche sah Glaukos’ Augen aus der Mondscheibe unverwandt auf sich gerichtet und floh vor dem Lichte. Endlich getraute er sich aus dem Schatten heraus; wie von unsichtbarer Macht getrieben trugen ihn seine Schritte der Fontäne zu, wo Glaukos den Geist aufgegeben hatte.
    Eine Hand berührte seine Schulter. Sich umwendend, sah er einen Unbekannten vor sich stehen.
    „Wer bist du?“ fragte er erschreckt.
    „Paulus von Tarsus.“
    „Ich bin verflucht! – Was willst du?“
    „Dich retten“, antwortete der Apostel.
    Chilon lehnte sich an einen Baum. Seine Füße waren kraftlos, seine Arme sanken schlaff herab.
    „Für mich gibt es keine Rettung mehr“, erwiderte der Grieche düster.
    „Weißt du nicht, daß Gott am Kreuze dem reuigen Schacher vergab?“
    „Kennst du meine Missetat?“
    „Ich sah deine Qual und hörte dein Zeugnis der Wahrheit.“
    „O Herr!“
    „Und wenn ein Diener Christi in seiner Todesstunde dir verzieh, wie sollte Christus selber dir nicht verzeihen?“
    Chilon raufte sich die Haare.
    „Vergebung! Vergebung für mich?“
    „Unser Gott ist ein Gott der Barmherzigkeit.“
    „Für mich?“ wiederholte Chilon und begann zu stöhnen, wie vom Schmerz überwältigt.
    „Lehne dich an mich“, sagte Paulus, „und komm mit mir.“
    Ihn führend, schritt er der Kreuzung der Pfade zu, geleitet vom Murmeln des Springbrunnens, der in nächtlicher Stille über alle zu weinen schien, die hier unter Martern gestorben waren.
    „Unser Gott ist ein Gott der Barmherzigkeit“, wiederholte der Apostel. „Ständest du am Meere und würfest Kiesel hinein, könntest du seine Tiefe ausfüllen? Ich sage dir, Gottes Barmherzigkeit ist wie das Meer, in dem die Sünden und Vergehen der Menschen verschwinden gleich Kieseln im Abgrund. Ich sage dir, sie gleicht dem Firmament, das Gebirge, Länder und Meere überspannt; denn sie ist allüberall, sie hat keine Grenzen, kein Ende. Du littest Seelenqualen vor Glaukos’ Pfahl. Christus hat deine Qualen gesehen. Ohne Rücksicht auf das, was morgen deiner harren würde, riefst du: ‚Hier ist der Brandstifter!‘ Christus wird sich dieser Worte erinnern. Lüge und Bosheit sind von dir gewichen und haben grenzenlosen Schmerz zurückgelassen. Folge mir und höre auf mein Wort. Ich bin jener, der Christus haßte und seine Auserwählten verfolgte. Ich glaubte nicht an ihn, bis er sich mir offenbarte und mich berief. Seitdem ist er gegen mich die Barmherzigkeit selbst. Er hat dich mit Zerknirschung und Verzweiflung heimgesucht, auf daß er dich bekehre. Du haßtest ihn, er aber liebte dich. Du verrietest seine Diener an die Henker, er aber will dir verzeihen, will dich retten.“
    Der Unselige schluchzte herzzerbrechend; Paulus führte ihn, wie ein Soldat einen gefangengenommenen Feind führt. Nach einer Weile begann der Apostel wieder:
    „Komm mit mir! Ich führe dich zu ihm. Warum sonst kam ich zu dir? Christus befahl mir, Seelen zu erobern; so will ich sein Gebot erfüllen. Du hältst dich für verflucht, doch ich sage dir: Glaube an ihn, und du bist gerettet. Du hältst dich für einen Gegenstand seines Hasses; ich wiederhole dir: Er liebt dich. Betrachte mich! Bevor ich ihn kannte, war nichts als Bosheit in meinem Herzen, und nun ersetzt seine Liebe mir Vater und Mutter, Reichtum und Macht. Bei ihm allein ist Zuflucht zu finden. Er allein wird deine Reue sehen, an dein Elend glauben, die Qualen von dir nehmen, dich zu sich erheben.“
    Er führte ihn dem Brunnen zu, dessen Silberstrahl von weitem glänzte. Ringsumher herrschte lautlose Stille, die Gärten waren leer, die Sklaven hatten die verkohlten Spuren des entsetzlichen Schauspiels entfernt.
    Stöhnend warf sich Chilon auf die Knie und verbarg sein Antlitz in den Händen. Paulus blickte zu den Sternen empor und flehte:
    „O Herr, blicke herab auf diesen Unglücklichen, auf seine Reue, seine Tränen, seinen Schmerz! O Gott des

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