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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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Hoffnungen selbst, lösten sich beide unbewußt mehr und mehr vom Leben und verloren den Sinn dafür. Sie glichen Leuten, die das Land zu Schiff verlassen haben, das Ufer aus dem Auge verlieren und in die Unermeßlichkeit hinausgleiten. Beide fühlten sich in ihren Seelen untereinander und mit Christus in Liebe vereint, bereit, die Erde zu verlassen. Nur manchmal erhob sich wieder wie ein Wirbelwind der Schmerz in Vinicius’ Seele, flammte der Blitz einer neuen Hoffnung in ihm auf, getragen von der Liebe und dem Glauben an den gekreuzigten Gott; immerhin riß auch er sich täglich mehr von der Erde los und sehnte sich nach dem Tode. Wenn er am Morgen aus dem Gefängnis ging, kamen ihm die Welt, die Stadt, die Bekannten, die Lebensinteressen, alles, was ihm bisher etwas bedeutet hatte, wie ein Traum vor und schienen fremd, entfernt, eitel, nichtig. Selbst die Marter hatte ihre Schrecken verloren. Es schien beiden, als wäre schon die Ewigkeit zu ihrer Aufnahme bereit. Sie sprachen davon, wie sie jenseits des Grabes leben und sich lieben würden; und kehrten ihre Gedanken zuweilen zur Erde zurück, so geschah es wie bei Personen, die eine lang andauernde Reise unternehmen wollen und von den Vorbereitungen dafür reden. Dazu umgab sie so tiefes Schweigen wie zwei Säulen, die verloren und vergessen in der Wüste stehen. Ihre einzige Sorge bestand darin, daß Christus sie trennen könnte. Ihre Überzeugung, daß er dies nicht tun werde, steigerte sich dabei zu immer stärkerer Gewißheit. Deshalb liebten sie ihn als ein Bindeglied zwischen sich, das sie beide in ewigem Glück und Frieden vereinigen würde. Obwohl noch auf Erden, fiel der Erde Staub von ihnen; ihre Seelen wurden so rein wie eine Quelle im Gebirge. Umgeben von den Schrecken des Todes, unter Elend und Leiden, in dieser Gefängnishöhle, hatte der Himmel in ihnen seinen Anfang genommen; Lygia hatte Vinicius gleichsam an der Hand gefaßt und wie eine Gerettete und Heilige hinaufgeführt zur Quelle des Lebens.
    Petronius war erstaunt, auf dem Antlitz des Vinicius einen Ausdruck immer größeren Friedens und wunderbarer Heiterkeit zu gewahren, den er früher nie bemerkt hatte. Manchmal vermutete er, Vinicius habe eine neue List entdeckt, Lygia zu befreien, und er war etwas beleidigt, daß ihm der Neffe seine Pläne nicht anvertrauen wolle; zuletzt konnte er sich nicht mehr beherrschen und sagte:
    „Du hast jetzt einen anderen Blick; habe keine Geheimnisse vor mir, denn ich will und kann dir helfen. Hast du etwas erreicht?“
    „Ja“, antwortete Vinicius, „aber du kannst mir nicht helfen. Nach ihrem Tode will auch ich mich als Christ bekennen und ihr folgen.“
    „Hast du also keine Hoffnung?“
    „Die größte Hoffnung! Christus wird sie mir geben, und ich werde nie mehr von ihr getrennt werden.“
    Petronius ging im Atrium auf und ab, Enttäuschung und Ungeduld malten sich in seinen Zügen.
    „Dafür benötigst du deinen Christus nicht – unser Thanatos leistet die gleichen Dienste.“
    Vinicius lächelte ernst und sprach:
    „Nein, mein Lieber, du willst mich nicht verstehen.“
    „In der Tat, ich will und kann nicht. Es ist jetzt keine Zeit zu Erörterungen, aber denke an das, was ich dir sagte, als es uns nicht gelang, Lygia aus dem Tullianum zu befreien. Ich verlor alle Hoffnung, du aber sprachst auf dem Heimweg: ‚Ich glaube, daß Christus sie mir wiedergeben kann.‘ Er soll sie dir zurückgeben. Wenn ich einen kostbaren Becher in die See werfe, so kann ihn mir keiner unserer Götter zurückbringen; ist euer Gott nicht besser, so weiß ich nicht, warum ich ihn mehr als die alten Götter ehren sollte!“
    „Aber er wird sie mir wiedergeben!“
    Petronius zuckte mit den Achseln.
    „Weißt du“, fragte er, „daß des Cäsars Garten morgen durch Christen beleuchtet wird?“
    „Morgen?“ wiederholte Vinicius.
    Und angesichts der nahen und entsetzlichen Wirklichkeit erzitterte sein Herz vor Schmerz und Furcht. „Vielleicht wird dies die letzte Nacht sein, die ich bei Lygia verweilen kann“, war sein Gedanke. Er verabschiedete sich von Petronius und begab sich eilig zum Aufseher der Leichengruben, diesen um seine Tessera zu ersuchen. Aber er wurde enttäuscht – der Aufseher wollte ihm die Tessera nicht geben.
    „Verzeih mir“, sagte er, „ich habe für dich getan, was möglich war, aber mein Leben kann ich nicht wagen. Diese Nacht werden Christen nach den Gärten des Cäsars abgeführt. Die Gefängnisse werden voll Soldaten und

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