Rabenblut drängt (German Edition)
darunter eine Meute blutrünstiger Hunde. Ich war so erleichtert sie lebend zu sehen, dass es einige Sekunden dauerte, bis die Wucht der Erinnerung mich traf. Genau diesen Moment hatte ich schon einmal erlebt.
Als Pavel starb.
Ich trudelte und schaffte es nur unter äußerster Anstrengung, meinen Körper in der Luft zu halten. Eine so reale Angst überfiel mich, dass meine Glieder zitterten.
Wie konnte ich auch nur einen Moment zögern?
Noch einmal spürte ich, wie die Zähne des Tieres das Fleisch aus meinem Arm rissen, sah Pavels schwarzen Körper in dem schäumenden Maul und hörte seine Knochen brechen. Dann schreckte mich der Anblick eines Raben auf. Er stürzte auf die Meute nach unten. Todesmutig pickte er mit seinem Schnabel auf sie ein.
Sergius!
Die Überraschung darüber ließ mich absacken, als wäre unter mir ein strömungsfreier Raum. Dass ausgerechnet Sergius einmal Isabeau helfen würde, hätte ich niemals für möglich gehalten. Er war das einzige Mitglied unseres Schwarms, dem ich misstraute und doch war er hier. Ich ließ mich zu ihm hinabfallen.
»Wurde ja auch langsam mal Zeit!«, krächzte er atemlos. Seine Augen glänzten erregt und er schien in einer inneren Hochstimmung zu sein, als schöpfte er allein dadurch Kraft, dass sich sein Körper im Kampf messen konnte.
»Wie lange hältst du sie schon in Schach?«
»Keine Ahnung, vielleicht eine halbe Stunde. War mal eine nette Abwechslung, aber ich glaube, dein Weibchen kann bald nicht mehr.«
»Das sehe ich. Ich übernehme hier, und du versuchst, den Schwarm zu rufen.«
Sergius hielt mich auf. »Schon passiert«, krähte er. »Sie trommeln noch mehr Raben zusammen. Ich werde jetzt den Viechern ordentlich das Maul wässern. Vielleicht kann ich sie von hier weglocken. Sieh zu, dass du das Weib wegschaffst, bevor es vom Baum kippt!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, fiel er wie ein Stein vom Himmel, mitten in die Meute hinein. Mäuler schnappten nach ihm und unzählige Male krachten Kiefer aufeinander ohne ihn zu erwischen. Die Tiere stürzten Sergius hinterher, der im Slalom nur wenige Zentimeter über dem Erdboden segelte. Das Rudel entfernte sich immer mehr.
Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Ein Tier des Rudels ließ sich zurückfallen und drehte sich auf den Hinterläufen. Isabeau schwankte, ihre Hände schrammten kraftlos an der Baumrinde entlang und ihr ganzer Körper sackte nach unten. Der Hund sah sie fallen und bekam Antrieb. Seine Hinterbeine schossen nach vorne und überholten dabei sogar seine Vorderläufe. Er kläffte nicht einmal mehr, verwahrte seine ganze Energie darauf, sein Opfer rechtzeitig zu erreichen.
Isabeau krümmte sich. Ein Ärmel ihrer Jacke war blutdurchtränkt, ihre Augen geschlossen. In einem Sekundenbruchteil schleuderte ich in der Luft herum und hielt direkt auf die Bestie zu. Da war kein Gedanke mehr in mir. Kein Zweifel daran, dass ich das Tier aufhalten musste.
Ich sammelte meine ganze Kraft und stieß hinab. Im selben Moment, in dem ich den Bluthund erreichte, brachen meine menschlichen Glieder aus mir heraus und ich krachte mit der ganzen Gewalt der Geschwindigkeit in das laufende Tier hinein. Der Aufprall war wie eine Detonation. Wir überschlugen uns, und der muskulöse Körper des Tieres wälzte sich über mich. Der Hund fletschte die Zähne, bevor sich sein Kiefer in meiner Schulter festbiss. Ich krallte mich an seinem Rumpf fest, um ihn herumzureißen. Meine nackten Beine umklammerten seinen Leib wie zu einem grotesken Liebesakt.
Sein Kiefer lockerte sich, und wie das Rattern einer Schnellfeuerwaffe schlugen seine Zähne aufeinander. Ich rammte meinen Unterarm gegen seine Kehle, aber sein Hals war so kräftig, dass ich damit kaum etwas ausrichten konnte. Seine derben Beine rutschten immer wieder aus meiner Umklammerung heraus und traten nach mir. Dieses Tier kannte keine Furcht. Sein ganzes Sein war Mut, war Tapferkeit und darauf trainiert, verbissen zu kämpfen bis hin zum eigenen Tod.
Seine Zähne waren eine scharfe Waffe, die ich selbst nicht besaß. Aber ich konnte es wenigstens versuchen. Mit dem Mut der Verzweiflung schlug ich meine Zähne in seinen kurzen Hals. Ich biss so kräftig zu, dass mein Kiefer schmerzte. Das dichte kurze Fell und die dicke Haut darunter bewegten sich.
Ich schmeckte Blut.
Noch nie war ich der eigenen Wildheit so nah gekommen.
Der Hund jaulte auf und ein Gurgeln brach aus seiner Kehle heraus. Sein Gebiss schlug sich in meinen Oberarm, und er hebelte sich
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