Rabenblut drängt (German Edition)
verstehen?«
»Jedes Wort«, gab ich zu. »Ich habe jedes Wort gehört, und ich habe jeden Atemzug gespürt, den du mit mir geteilt hast.«
»Dann hast du auch gehört, dass er gesagt hat, ich solle aufgeben?«
Ich nickte und machte Isabeau ein weiteres Geständnis. »Ich bin ihm nicht einmal böse deswegen, weil ich in diesem Moment genau dasselbe gedacht habe.«
»Ich glaube nicht, dass irgendwelche Spuren zurückbleiben werden«, wiederholte sie jetzt flüsternd.
Ich verstand. Nicht wenige Raben würden Sergius’ Ruf gefolgt sein. In ein bis zwei Tagen wären jegliche Überreste vertilgt. Diese Vorstellung erschreckte mich nicht. Es war völlig normal, eine natürliche Ordnung, dass so etwas geschah. Ob es sich nun um ein Tier handelte oder nicht. Dennoch überraschte es mich selbst, wie kaltblütig ich den Tod dieses Mannes hinnahm.
»Macht dir das Sorgen? Fühlst du dich schuldig?«
Isabeaus nickte. »Ehrlich gesagt, ja.«
»Das solltest du nicht. Glaub mir, Sergius lässt sich von niemandem sagen, was er tun soll. Wenn er auch manchem von uns Dinge in den Mund legt, die es so aussehen lassen könnten.«
»Du meinst, er hat mich manipuliert?«
»Sicher. Er hat dich dazu gebracht, das zu sagen, was er von dir hören wollte.«
»Ich glaube, er ist ein richtiges Schwein«, sagte sie heftig.
»Vielmehr ein armes Schwein, wenn du so willst.«
»W-wieso?«
»Es ist bestimmt nicht richtig, wenn ich dir von seinem Leben erzähle. Das sollte er lieber selbst tun.« Sie sah nicht aus, als legte sie gesteigerten Wert darauf.
»Ich stehe jedenfalls in seiner Schuld. Wenn er die Hunde nicht in Schach gehalten hätte, dann weiß ich nicht, was passiert wäre.«
Sie sah unschlüssig aus, als ob sie noch etwas auf dem Herzen hätte. Aber ein erneutes Pochen an der Tür unterbrach meine Gedanken.
»Nikolaus!«, rief Isabeau freudig aus.
Er hatte seine Familie mitgebracht und sah aus, wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt wurde. Die Mädchen konnten nur mit Mühe davon abgehalten werden, auf mein Bett zu springen.
»Aber warum denn nicht? Die darf doch auch auf seinem Bett sitzen!« Marina zeigte mit spitzen Fingern auf Isabeau, die sofort aufstand und eine Begrüßung stammelte.
»Keine gebrochenen Knochen?« Nikis lockerer Ton konnte nicht über seine Anspannung hinwegtäuschen. Ich hielt ihm meine verbundene Hand hin.
»Nur ein paar. Ich bin froh, dass du gekommen bist!«
»Ich war nicht sicher, ob du uns sehen wollen würdest«, gestand er.
»Was ist mit deinem Vater? Hat er sich von unserem Intermezzo wieder erholt?«
»Er ist wie vom Erdboden verschluckt.« Er kämpfte sichtlich mit sich.
»Du brauchst nichts weiter zu sagen, Niki. Dich trifft keine Schuld!«
»Wenn ich nur daran denke, wie viele Informationen ich ihm ahnungslos geliefert habe! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass er etwas damit zu tun haben könnte.«
»Es tut mir leid.«
»Wie?«
»Es tut mir leid, dass ich ihn so provoziert habe. Ich hätte es dir gerne erspart.«
»Du weißt ja gar nicht, was er alles getan hat!«, flüsterte er heiser. »Ich glaube, er ist vollkommen durchgedreht. Er hat wirres Zeug gefaselt. Davon, dass er in deine Mutter verliebt war. Kannst du dir das vorstellen?«
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie sich überhaupt kannten. Hätte der General nicht dieses Foto entdeckt -«
»Dein Vater hat damals das Rennen gemacht. Und mein Vater hat das anscheinend nie verwunden. Alles hat Johannes bekommen!, hat er gesagt. Die Frau, die er haben wollte und dann auch noch das Vermögen. Er muss sich in der Zeit, die er im Gefängnis verbracht hat, völlig da reingesteigert haben. Nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Güter zurückzuerstatten, da ist wohl irgendeine Sicherung in ihm durchgebrannt.«
»Dann war es also tatsächlich kein Unfall.« Meine Stimme war fast tonlos.
Er wusste sofort, wovon ich sprach. »Nein, Alexej. Das mit deinem Vater war kein Unfall. Und nicht nur das: Auch mein Studium in Wien hat er nur aus dem Grund forciert, um seine Rachepläne auszuweiten. Er hat mich nur benutzt, damit ich ihm als Spion dienen konnte! Kannst du mir verzeihen?«
»Es gibt nichts, was ich dir verzeihen müsste!« Ich war aufgebracht darüber, dass er sowas überhaupt denken konnte.
»Aber was soll ich jetzt tun? Ich kann doch schlecht meinen eigenen Vater -«
Ich stoppte seinen Redefluss. »Gar nichts tust du! Wo ist er jetzt?«
»In Melník jedenfalls nicht. Er muss sich irgendwo
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