Rabenblut drängt (German Edition)
Körper sich reinwaschen, die Tiere aus sich hinausspülen. Dieser gärend faulige Gestank trieb mir die Tränen in die Augen. Mein Geist baumelte über einem Abgrund, nur noch durch fein gesponnenes Garn gehalten.
»Ich brauche - oh Gott, ich brauche etwas zum Waschen! Irgendein Handtuch, einen Lappen - Niki!« Meine Stimme klang schrill. Nikolaus lief zum Auto. Wenige Augenblicke später wusch ich Pavels Gesicht und seinen aufgeblähten Leib; beseitigte die feuchte Erde und dieses abscheuliche Gewürm. Nikolaus erbrach sich. Ich hörte sein Würgen und versuchte meinen Geist abzukapseln, als gehörte er nicht mehr zu meinem Körper.
Als ich es nicht länger ertrug, Pavels blasenüberzogene Haut zu sehen, zog ich mir den Pullover über den Kopf und bedeckte behutsam sein Gesicht damit.
Wir wickelten ihn in die Decke und trugen ihn gemeinsam zum Auto. Ich betete. Anschließend wuschen wir uns Hände und Arme in der Regentonne. Der Geruch ließ sich nicht vertreiben, ebenso wenig wie der Abscheu vor uns selbst.
Wir sprachen kein einziges Wort. Und nachdem Nikolaus losgefahren war, kehrte ich zurück und kratzte die lose Erde zusammen. Ich durfte keine Spuren hinterlassen.
Meine Finger waren fast gefühllos durch die Arbeit in der Kälte, aber mein Geist war es leider nicht. Unerwartet heftig strömten die Bilder von Pavel auf mich ein.
Er war doch nur ein Junge.
Übelkeit stieg in mir auf. Ich hustete und würgte.
Dann gab ich den Kampf auf und weinte.
Rabenkuss
I ch hatte einen Alptraum. Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn träumte, aber diesmal war er realistisch wie nie zuvor: Ich war allein im Wald, konnte nicht einmal sagen, ob es morgens oder abends war. Leichter Nebel bedeckte den Boden und ließ nur die Baumkronen hinaus ins Licht blinzeln. Ich war einsam. So einsam, dass mein Brustkorb geradezu körperlich schmerzte. Ich hörte Schreie, die mir zwar vertraut waren, aber die Art, wie sie ausgestoßen wurden, erschreckte mich.
Rabenschreie.
Wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen bewegte ich mich in die Richtung aus der sie kamen. Dann sah ich die Vögel. Es waren so viele, dass ich keine Konturen erkennen konnte. Sie bewegten sich wie ein riesiges schwarzgefiedertes Tuch durch den Nebel.
Als ich die Stelle erreicht hatte, die sie umkreisten, sanken sie als dichter Teppich zur Erde und bedeckten den Waldboden fast vollständig. Ich rannte auf den Schwarm zu und wedelte mit den Armen, um sie zu vertreiben, aber sie flatterten höchstens einen halben Meter empor. Immer mehr Raben stürzten sich aus dem Himmel herab, das Kreischen schwoll an. Ich hielt mir die Ohren zu, weil ich diese aggressiven Stimmen nicht mehr hören wollte.
Dann bildete sich eine Lücke in dem schwarzen Teppich, und was ich sah, ließ mich aufschreien: Die Haut eines menschlichen Körpers hob sich hell vom Erdboden ab. Ich wusste sofort, dass es ein Mann war, obwohl ich nicht viel mehr erkennen konnte, als eine weiße, blutverschmierte Masse. Und dort, wo eigentlich ein Gesicht sein sollte, hatten die Tiere mit ihren harten Schnäbeln die Haut zerfetzt und ganze Stücke herausgerissen. Überall war Blut. Ich schrie. Ich schrie laut auf und weinte dann heiße Tränen auf mein Kissen.
Bis zu dieser schrecklichen Erkenntnis hatte ich den Traum noch nie geträumt. Bisher war ich immer vorher aufgewacht.
Das T-Shirt klebte mir am Körper, und ich tapste ins Bad, um mir den Schlaf aus den Augen zu waschen. Dann kramte ich im Kleiderschrank nach einem frischen Nachthemd, fand aber nur ein ausgeleiertes Exemplar mit einem kitschigen Fantasymotiv: ein weißes Einhorn vor einem Wasserfall mit rosafarbenem Himmel. Ich knipste die Lampe über meinem Nachttisch an. Es war kurz nach halb fünf. Eigentlich zu früh zum Aufstehen, aber ich würde mich jetzt doch nur hin und her wälzen. Die Hitze des Ofens trieb mich dazu, vor die Tür zu gehen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich musste mich vergewissern, dass in Wirklichkeit kein schwarzer Schatten am Himmel zu sehen war. Aber die Wolken hatten sich über dem vollen Mond zugezogen. Enttäuscht wollte ich schon zurückgehen, da sah ich eine Gestalt hinter meinem Haus verschwinden.
Erschrocken presste ich mich an die Hauswand. In Gedanken war ich so in meinem Traum gefangen gewesen, dass ich nichts gehört hatte. Das war das Blöde daran, wenn man allein in einer kleinen Hütte wohnte. Ich sollte mir ein Haustier zulegen. Einen Schäferhund vielleicht oder einen
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