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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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Pitbull.
    Oder ich könnte diese finstere Nachtgestalt mit meinem Nachthemd erschrecken. Ich sah mich bereits hinter das Haus rennen, meinen Parka aufreißen und wie ein Exhibitionist laut › Ha! ‹ schreien. Die Vorstellung brachte mich dazu, hysterisch zu kichern. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren!  
    Ich presste mich noch enger an die Wand. Die Kälte kroch mir die Beine hoch. Ich hörte ein Kratzen, dann ein leichtes Klopfen.
    Sakra! , fluchte ich stumm und lauschte. Dann nahm ich ein anderes Geräusch war, das ich zuerst gar nicht einordnen konnte. Es klang fast wie ein Schluchzen - wie unterdrücktes Weinen. Wie ein Mensch, der zutiefst gequält war, der Schmerzen litt, die ich mir gar nicht vorstellen konnte.  
    Ohne weiter nachzudenken, sprang ich die wenigen Stufen hinunter. Ich rannte über das nasse Gras und sah dort in der Dunkelheit eine gekrümmte Silhouette auf dem Boden hocken.
    Alexej.
    Er hatte sein Gesicht mit den Händen bedeckt. Sein Körper bebte. Weinte er? Ich berührte ihn sanft an der Schulter, aber er schien mich nicht einmal wahrzunehmen.
    »Oh Gott!«, kam es aus seiner Kehle. »Oh Gott!« Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar, krallte sich darin fest, als würde der Schmerz, den er sich selbst zufügte, einen anderen vertreiben können.
    »Bist du verletzt?«, fragte ich. Er starrte mich an, als wäre ich ihm völlig fremd. Seine Augen blickten so verzweifelt, dass sich mein Herz vor Mitleid zusammenzog.
    »Bitte komm ins Haus, du bist ja völlig durchgefroren«, sagte ich und versuchte ihn auf die Beine zu bringen. Er war so kraftlos, so schwer - ich konnte ihn unmöglich bewegen. Ich zog seine Hände von seinem Gesicht, damit er gezwungen war, mich anzusehen. Die Ärmel seines Hemdes starrten vor Schmutz, als hätte er mit bloßen Händen den Garten umgegraben.
    »Bitte komm«, bat ich erneut.
    »Ich kann nicht.«
    »Ich helfe dir«, sagte ich und zog ihn mit aller Kraft auf die Füße. Er wehrte sich nicht, aber er schwankte, als könnten seine Beine das plötzliche Gewicht nicht tragen. Dann vergrub er sein Gesicht an meiner Schulter.
    Sein Körper war so angespannt, dass ich fürchtete, bei der kleinsten Bewegung würde er in tausend Stücke zerbersten wie gebrannter Ton. Ich streichelte ihm vorsichtig über das Haar. So oft hatte ich mir vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen würde.
    Es roch erdig, holzig. Wie der Wald, nachdem es geregnet hatte.
    Seine Haarsträhnen kitzelten meine Oberlippe. Das war eigentlich kein Kuss, dachte ich, als ich das Pochen seiner Schläfe spürte - eine warme Vibration, die sich auf mich zu übertragen schien.
    Aber wem wollte ich hier eigentlich etwas vormachen?
    Langsam glitten meine Lippen über seine Stirn. Und es kam mir in diesem Moment nur logisch vor.
    »Alexej«, flüsterte ich, und wie in Zeitlupe stolperte ich rückwärts gegen die Hauswand. Unvermittelt hob er den Kopf. Seine Augen glänzten pechschwarz in der Dunkelheit, und sein Griff in meinen Nacken verstärkte sich.
    »Isabeau.« Er hielt mich fest, küsste meinen Mund, meinen Hals, mein Ohr, einfach jede Stelle, die er erreichen konnte.
    Ich nahm die Kälte nicht mehr wahr. Mit den Fingerkuppen streifte ich die zarte Haut an seiner Kehle. Die Spur seiner Tränen schmeckte salzig und süß zugleich.

Rabenflucht
     
     
     
    D ir ist kalt«, flüsterte ich. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles, was ich eben erlebt hatte, war plötzlich in weite Ferne gerückt. Mir war, als umgäbe mich ein anschmiegsames Kleid aus Haut und Blut. So viel Blut, dass ich mich zum ersten Mal als ganzer Mensch fühlte. Der Rabe in mir war weit weg, nur mehr eine dünne schwarze Spur am Horizont. Gleich wäre auch der letzte Schrei verklungen.
    Ich küsste sie. Ihre Lippen waren nachgiebig, und ihr Atem ließ die feinen Härchen in meinem Innnenohr flimmern.
    Guter Gott! Noch mehr als die Tortur, die ich eben erlebt hatte, quälte mich das heftige Verlangen Isabeau zu lieben.
    Aber was tat ich hier eigentlich? Ich hielt inne und horchte in mich hinein. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag, drohte mich umzuwerfen wie einen gefällten Baum:
    Ich war ein Rabe!
    Wie hatte ich das nur eine Minute, eine Sekunde lang vergessen können?
    Ich war ein Rabe, ein Mischwesen, eine Laune Gottes oder auch nur der Natur. Bittere Galle stieg mir in der Kehle auf. Was ich hier tat, widersprach jeder Vernunft - jedem Instinkt.
    Ich versteifte mich und ließ meine Hände fallen. »Ich bin so ein

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