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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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darüber nachzudenken. Es würde mir trotz allem leicht fallen von hier fortzugehen. Es musste mir leicht fallen.  
    Ich wollte nicht schon wieder auf die Uhr in der Küche starren. Es gefiel mir nicht, dass ich mich daran orientierte, anstatt meinem Gefühl zu folgen. Trotzdem flog mein Blick an die Wand. Es war zwanzig Minuten nach drei. Wann würde Isabeau endlich das Licht löschen und einschlafen? Sie hatte sich früh von uns verabschiedet. Aber ich war gezwungen gewesen, weiter den amüsanten Unterhalter zu geben, obwohl ich mich vor Müdigkeit kaum noch auf den Beinen halten konnte. Plötzlich war mir dieser Abend irreal erschienen, hatte mich gelangweilt und reizbar gemacht. Sicher war es nur diese ewige Verstellung, die mich ermüdete, mich regelrecht zermürbte.
    Ich sah aus dem Fenster. Endlich war der Lichtschein in Isabeaus Zimmer erloschen. Da sie Pavel ausgerechnet hinter ihrem Haus begraben hatte, würden wir sehr leise sein müssen, um sie nicht zu wecken.
    Nikolaus trat hinter mir ein, und ich löste meinen Blick vom Fenster.
    »Es ist alles vorbereitet«, sagte er.
    »Sie schläft jetzt. Lass uns noch fünf Minuten abwarten, nur um sicherzugehen.«
    »Meinst du nicht, es wäre besser, ihr reinen Wein einzuschenken?«
    »Nein.«
    »Aber es wäre wesentlich einfacher für uns. Sie mag dich, vielleicht würde sie -«
    »Gar nichts würde sie. Außerdem haben auch andere mich schon gemocht.« Ich hasste es, wie bitter meine Stimme klang. »Hast du eine Decke mitgebracht, einen Mantel, irgendetwas, worin wir ihn einwickeln können?«
    »Habe ich. Aber ich wollte dich noch fragen, ob -« Er schluckte schwer. »In welcher Gestalt werden wir ihn ausgraben? Worauf muss ich mich gefasst machen?«
    »Er ist als Rabe gestorben.« Ich flüsterte beinahe. »Aber ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Es ist nicht so, als hätte ich das schon einmal getan. Niki -«, meine Stimme klang jetzt eindringlich, »- du musst das nicht tun! Ich bin unheimlich dankbar, dass du mir hilfst, aber gerade das hier«, ich deutete aus dem Fenster, »würde ich niemals von dir verlangen.«
    »Ich weiß.« Er lächelte. »Wir haben schon einiges zusammen erlebt, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das hier ist etwas anderes. Es ist vielleicht illegal, aber vor allem ist es, auf jede nur erdenkliche Art, frevelhaft.«
    »Ich bin nicht katholisch, wie du weißt.«
    »Das erleichtert mich ungemein«, spottete ich. »Aber hör zu, Niki! Pavel wurde vor Wochen begraben. Verstehst du? Vor Wochen! Sein Anblick ist mit Sicherheit nichts, worauf man sich gefasst machen kann.«
    »Oh Gott!«, stöhnte Nikolaus gequält.
    »Ich dachte, du bist nicht katholisch«, frotzelte ich.
    »Und ich dachte, du bist nicht so ein Rabenaas, dich in dieser Situation über mich lustig zu machen!«
    »Du solltest mich besser kennen. Außerdem weißt du doch, dass Galgenhumor die einzige Stärke eines Zynikers ist. Das solltest du mir nicht verübeln.«
    »Seit wann bist du ein Zyniker?«, fragte er.
    Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort. »Heute Abend habe ich beschlossen, einer zu sein.«
     
    Wir griffen nach den Schaufeln, die Nikolaus mitgebracht hatte. Der einzig glückliche Umstand, der uns zugutekam, war die sternenklare Nacht, die es uns ersparte, mit Taschenlampen hantieren zu müssen.
    Ich lehnte mich an die Hauswand und horchte auf jedes noch so feine Geräusch. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass Isabeau jetzt in ihrem Bett lag. Womöglich auf einer Seite zusammengerollt, die Hand unter dem Kopfkissen vergraben, ein Bein vielleicht über der Bettdecke angewinkelt. Nein. Tatsächlich musste ich zugeben, dass ich kein bisschen versuchte, nicht daran zu denken. Ich schüttelte den Kopf und stieß mich von der Wand ab.  
    Die Stelle, an der sie Pavel begraben hatte, war nur von spärlichen Büscheln Löwenzahn bedeckt.
    »Würde die Erde nicht verdrängt, w-wenn der Körper jetzt größer als ein Vogel wäre?« Nikolaus’ Stimme zitterte.
    Ich nickte, das war auch mein Gedanke gewesen. Die Frage war nur: Wohin? Würde sich der Boden stärker komprimieren, oder ginge die Erde nicht viel eher den Weg des geringsten Widerstands? Und war es letztendlich nicht völlig idiotisch, solche Überlegungen anzustellen?
    »Scheiße«, sagte Nikolaus schlicht.
    »Ich schließe mich dir uneingeschränkt an!«
    »Verdammte Scheiße!«, fluchte er.
    Es kostete mich unheimlich viel Überwindung, den Spaten in die Erde zu treiben. Allein der Gedanke, dass ich

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