Rabenblut drängt (German Edition)
Idiot!«, entfuhr es mir.
»Was?« Sie blinzelte. Ein Blick in mein Gesicht genügte, um sie vollends zu ernüchtern. »Was ist mit dir?«
Idiot! Idiot! Idiot! Etwas anderes fiel mir nicht ein. Krampfhaft überlegte ich, was ich ihr sagen könnte. Denn die Wahrheit war das Einzige, was ich ihr nicht sagen durfte!
»Ich muss fort«, sagte ich. »Ich werde zurückgehen. Heute Nacht noch.«
»Aber -« Sie schluckte mühsam und sagte dann etwas, das mich mehr als überraschte.
»Das hab ich mir gedacht. Dann ist Nikolaus also gekommen, um dich abzuholen?«
»Ja«, log ich.
»Ich verstehe.«
Gar nichts verstehst du! Ich war wütend, aber dieser Zorn richtete sich allein gegen mich selbst, gegen das, was ich war und wieder sein würde, wenn ich sie jetzt verließ.
»Es tut mir leid«, entschuldigte ich mich lahm. »Ich wollte das nicht.«
»Sag das nicht! Es ist nämlich so ... ich wollte es.« Ihre Stimme verlor an Kraft. »Musst du sofort gehen?«
Ich nickte. Wieso konnte ich in diesem Moment nicht die richtigen Worte finden? Ich sprach viele Sprachen, aber in keiner einzigen wollte mir etwas Sinnvolles einfallen.
»Aber warum?«
»Ich kann dir darauf keine Antwort geben, zumindest keine befriedigende«, sagte ich ehrlich.
»Dann gib mir eine unbefriedigende!«
»Es gibt keinen Grund für mich, länger hier zu bleiben.«
Ihre Augen glänzten. Sie versuchte sich zu beherrschen, doch ich konnte das schnelle Schlagen ihres Herzens deutlich spüren.
»Dann -« Isabeau kam einen Schritt auf mich zu. »Dann leb wohl.«
Sie küsste mich, und mein Körper reagierte sofort. Warum konnte ich nicht vergessen, was ich war? Für eine Nacht nur?
»Tu das nicht!«, sagte ich.
»Was soll ich nicht tun? Dir einen Abschiedskuss geben?«
»Du weißt, dass es nicht dabei bleiben würde, und das wäre nicht anständig.«
»Ich habe nie von dir verlangt, anständig zu sein.«
Ich bin ein Rabe. Ich bin ein Rabe. Ich wiederholte es, wie ein Mantra, das ich zu verinnerlichen suchte. Die letzten acht Jahre meines Lebens schienen ausgelöscht, verdampft in einem einzigen Kuss.
»Verschwende deine Gefühle nicht!«, sagte ich.
Isabeau hielt den Atem an. Aber dann schluckte sie ihre Tränen hinunter.
»Spiel mir doch nichts vor! Ich weiß genau, dass du irgendetwas zu verbergen hast. Du glaubst, dass du es niemandem anvertrauen kannst, niemandem ohne Ausnahme. Aber da irrst du dich. Und sag mir nicht, dass es dir leicht fällt zu gehen! Sag das nicht, denn ich glaube dir kein Wort!«
Ich hatte mich von ihr abgewandt, um besser atmen zu können. Sie war so furchtbar ehrlich. Kein bisschen Verstellung, nicht die kleinste Andeutung von Taktik oder Kalkül.
»Muss es denn endgültig sein? Ich meine, dort wo du hingehst, gibt es da denn kein Telefon? Hast du keine Adresse?«
»Eine Adresse?«, fragte ich perplex.
»Ja, um Gottes willen, eine Adresse! Jeder normale Mensch hat doch ein Zuhause, oder nicht?«
»Jeder normale Mensch vielleicht! Du weißt gar nicht, was du da sagst.« Ich fühlte mich hilflos, als wäre ich gefangen in einer kafkaesken Geschichte. Gefangen in der Verwandlung , in der ein Mann im Selbstmitleid suhlend verendet.
»Ich bin aber nicht normal!« Meine Stimme war lauter geworden, als versuchte sie, meine Gedanken zu übertönen.
»Was soll das heißen? Wo gehst du denn hin? Bist du verheiratet? Oder hast du etwas verbrochen? Hast du jemanden umgebracht? Musst du vielleicht ins Gefängnis?«
Ich hätte gelacht, wenn ihre Stimme nicht so verzweifelt geklungen hätte.
»Verschwende deine Gefühle nicht, hörst du?« Ich brüllte es fast. »Es ist sinnlos, und ich erwidere sie auch nicht.«
Und dann zog ich unsanft an den Knöpfen meines Hemdes, riss daran, als sie nicht schnell genug aufsprangen, und warf es ihr vor die Füße. Danach folgte mein Gürtel.
»Was tust du da?«, rief sie entgeistert.
»Wonach sieht es denn aus?« Ich schleuderte meine Schuhe fort und zerrte mir die Hose von den Beinen.
Sie war sprachlos.
»Da wo ich hingehe, brauche ich nichts von alledem, verstehst du? Gar nichts.«
Meine Stimme war leiser geworden.
»Und auch dich brauche ich nicht. Leb wohl.«
Ich drehte mich um und lief den kurzen Weg in den Wald.
So nackt, wie Gott mich geschaffen hatte.
Wenn er dabei vielleicht auch einen Fehler gemacht hatte.
Fiebersuche
D u siehst, ehrlich gesagt, ziemlich beschissen aus, Süße. Hier, ich hab dir einen Kakao gemacht.«
Lara stellte die Tasse
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