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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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beim ersten Spatenstich, mit an absoluter Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemals etwas treffen würde, brachte mich dazu es zu tun. Und beinahe direkt brach mir kalter Schweiß aus.
    Wie tief sie ihn wohl begraben hatte?
    »Was glaubst du, wie tief sie ihn begraben hat?«, fragte Nikolaus nur wenige Sekunden später. »Ich meine, sie ist eine Frau. Der Boden war zwar nicht gefroren, aber bestimmt ziemlich hart, oder? Ob sie an die wilden Tiere gedacht hat, die ihn eventuell ausgraben würden?«
    »Halt den Mund!«, presste ich hervor und grub weiter.
    Nikolaus’ Atem ging stoßweise - oder war es mein eigener? Jedenfalls fing auch er an zu graben und häufte die Erde zu einem Hügel an.
    »Stimmt es, dass du Holz hacken musstest?«, fragte er mich unvermittelt. »Wie konntest du das nur tun? Ich meine, du bist Musiker. Die Gefahr, dich zu verletzten, ist viel zu groß. Denk doch mal daran, wie unempfindlich deine Hände werden, wenn du so was machst. Du kriegst überall Hornhaut. Dann hast du gar kein Gefühl mehr in den Fingern, du -«
    »Niki!«
    »Ja?« Er hielt inne.
    »Weißt du eigentlich, was du da gerade tust?«, fragte ich.
    Er schaute an sich hinunter.
    »Ja. Das ist es ja gerade. Ich schaufel ein verdammtes Grab aus! Ich schaufel verflucht noch mal eine Leiche aus! Das ist es, was ich tue!«
    »Das meinte ich nicht«, zischte ich zurück. »Du raubst mir den letzten Nerv. Sei endlich still! Was hältst du davon, wenn du schon mal nach der Decke suchst?«
    »Die habe ich doch längst hier.«
    Ich stöhnte. »Dann geh noch einmal ums Haus. Ich glaube, ich habe irgendein Geräusch gehört. Es wäre gut, wenn du mal nachsehen könntest.«
    Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und ich hoffte, dass ihn dieser Auftrag lang genug beschäftigen würde.
    Ich hatte nicht mehr als dreißig Zentimeter in die Tiefe gegraben, als ich plötzlich auf etwas Hartes stieß. Erschrocken zog ich den Spaten zurück. Ich musste mit den Händen erfühlen, was ich dort getroffen hatte, schließlich wollte ich ihn nicht unnötig verletzen. Ihn. Pavel.
    Ich unterdrückte das würgende Gefühl in meinem Hals. Dann kniete ich mich auf den Boden und tastete das Gras ab, berührte die feuchte, krümelige Erde. Ich schloss die Augen. Würde er kalt sein? So kalt wie Stein? Nein. Das, was ich dort fühlte, war ein Stein, stellte ich erleichtert fest.  
    Wie unsinnig war es eigentlich, nach einer Leiche zu graben und gleichzeitig zu hoffen, dass man sie nicht fand? Ich holte tief Luft und merkte beim nächsten Stich, dass die Erde an dieser Stelle härter war. Wahrscheinlich hatte ich den ganzen Mutterboden abgetragen und nun die gewachsene Erdschicht erreicht. Ich musste mit dem Fuß nachhelfen, um überhaupt tief genug einzudringen.
    Bitte lass mich nicht auf sein Gesicht treffen!  
    Nach zwei weiteren Stößen war ich mir sicher. Da war ein Widerstand - ein weicher zwar, aber eindeutig ein Widerstand. Ich ging erneut auf die Knie, zwang mich, nur durch den Mund zu atmen und grub mit den Händen weiter.
    Ich hatte Pavel gefunden.
    Es überraschte mich nicht mehr, dass ich nicht sein Federkleid vorfand. Innerlich war ich auf das Schlimmste vorbereitet gewesen. Trotzdem erstarrte ich, als ich seine nackte Haut berührte. Wenn Gott mich hiermit prüfen wollte, dann auf die denkbar grausamste Art. Ich kratzte etwas Erde weg, bis ich sicher sein konnte, dass es sein Bein war, das ich berührte.
    Das war der Augenblick, in dem ich am liebsten geflohen wäre. Alles wäre leichter zu ertragen als das hier.
    Einzig der Gedanke an Pavels Familie brachte mich dazu, standhaft zu bleiben.
    Ich weinte keine Träne, obwohl sie mir heiß durch den Körper liefen. Ich grub weiter, versuchte meine Empfindungen abstumpfen zu lassen wie ein Baum, der seine Wunde verharzte, sie abdichtete, bis nichts mehr hindurchdringen konnte. Irgendwann kam Nikolaus mir zu Hilfe. Wir zogen die Leiche an den Armen heraus auf das feuchte Gras.
    Pavels Genick war gebrochen und sein Kopf rollte hin und her, als wir ihn hochhoben. Seine Haut leuchtete fahl im Mondlicht, und er dünstete einen süßlichen Fäulnisgeruch aus. Sein junges Gesicht war von den zersetzenden Gasen aufgedunsen und die Augen eingefallen. Und plötzlich quoll ein Wust von Maden aus seinem geöffneten Mund hervor. Nicht nur aus seinem Mund - auch aus Nase und Ohren krabbelten sie mit ihren prallen Körpern. Grünliche Flüssigkeit lief aus den Nasenlöchern hinterher, als wollte sein

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