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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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reden. Wir sollten uns lieber überlegen, wie wir schnellstmöglich zurück zum Schwarm kommen. Du siehst nicht aus, als wärst du kräftig genug, um die hundert Kilometer zu fliegen.«
    »Na dann pass mal auf!« Jaro erhob sich von seinem Zweig und trieb sich mit kräftigen Schlägen in die Höhe. Ich beobachtete seinen Flug argwöhnisch. Er drehte eine schnelle Runde und machte unsinnige Kapriolen: Erst flog er ein kurzes Stück auf dem Rücken, schlug ein paar Saltos, krähte übermütig und landete dann äußerst gekonnt wieder neben mir.
    »Und?« Er war außer Atem, aber seine Augen glänzten.
    »Jetzt fühle ich mich steinalt. Danke.«
    Er kicherte. »Das ist der Vorteil, wenn man erst fünfzehn ist. Man erholt sich ziemlich schnell.«
    Ich brummte etwas Unverständliches in mein Kehlgefieder.
    »Also gut«, erklärte ich dann. »Versuchen wir es. Lassen wir erst einmal die Stadt hinter uns.«
    Ich stieß mich ab. Meine Flügel drückten die Luftmassen nach unten und mein sehniger Körper schoss in den Himmel.
    Jaro krähte begeistert und stürmte mit jugendlichem Elan hinter mir her. Er machte eine gute Figur in der Luft. Sein ganzer Körper war angespannt und sauste blitzschnell über Baumwipfel und Häuser dahin. Niemals segelten wir so elegant wie die Milane, die mit ihren weiten Schwingen kunstvolle Figuren an den Himmel zeichnen konnten. Aber es gab keinen Vogel unserer Größe, der flinker oder wendiger in der Luft agieren konnte als wir.
    Ich ließ mich von Jaro zu heftigen Manövern hinreißen: Wie steuerten aufeinander zu, verkeilten uns, trudelten wie ein formvollendeter Kreisel bis kurz über den Erdboden, bevor wir uns losließen und wieder nach oben schossen. Unter uns blieben die Menschen stehen und beobachten gebannt dieses Schauspiel.
    Wir ruderten ein Stück auf dem Rücken, rollten uns verspielt durch die Luft, stießen spitze Schreie des Vergnügens aus, um dann wie ein abgeschossener Pfeil hinabzustürzen.
    Die Menschen wurden kleiner, spärlicher, waren nur mehr winzige Farbtupfer im grünbraunen Gemisch der Feldwege. Jaro steckte mich mit seiner ausgelassenen Freude an und mir wurde leicht ums Herz. Es tanzte ungestüm in meiner Brust. Das Rabenblut toste durch meine Adern. Es schien diesen Rausch der Geschwindigkeit zu genießen wie ein eigenständiger Sinn.
    Springend und leicht spielte mein Blut mit mir. Es sang. Und das war ein unbeschreibliches Gefühl - ein Gefühl der vollkommenen Freiheit.
    Es kam dem Glück so nah.

Wundspur
     
     
     
    D ie nächsten zwei Wochen vergingen schleppend. Das Fieber hatte mich regelrecht niedergestreckt, also nutzte ich die Zeit, um ungehemmt zu trauern. Mir war, als hätte ich einen kurzen Blick auf den schönsten aller Sonnenaufgänge erleben dürfen, um beinahe sofort danach zu erblinden.
    Ich hungerte nach Alexej und konnte deshalb kaum noch essen - jedenfalls nicht mehr als das Allernötigste, damit ich mir Michala nicht zur Feindin machte. Und ich konnte nicht mehr schlafen. Stundenlang lag ich wach in meinem Bett und grübelte über seine Worte nach.
    Weil ich niemals Spuren hinterlasse.
    Als das Fieber verging und ich mich allmählich erholte, schmiedete ich Pläne. Ich überlegte, wie ich meine Routen durch den Wald optimal strukturieren könnte, um die Spuren zu finden, von denen Alexej behauptet hatte, dass es sie nicht geben würde. Ich musste sie finden! Kein Mensch konnte einfach wie ein Vogel davonfliegen. Vielleicht sollte ich noch einmal zum Unfallort fahren, um mir die Stelle genau anzusehen. Es war doch möglich, dass ich irgendetwas entdeckte, dass Marek übersehen hatte. Es war zwar nur eine geringe Möglichkeit, aber es war die einzige. Was hatte ich denn sonst für Anhaltspunkte?
    Nikolaus vielleicht? Als mir dieser Gedanke kam, durchstöberte ich im Internet sämtliche Seiten über die Tschechische Philharmonie. Glücklicherweise konnte man die Homepage auch auf Englisch lesen, denn es wäre mir peinlich gewesen, Lara oder Marek dabei um Hilfe zu bitten. Wahrscheinlich würden sie denken, dass ich jetzt völlig durchdrehte. Sie beobachteten mich sowieso schon mit Argwohn.
    Der Bildschirm vor mir flimmerte. Nachdem ich einige Pop-up Fenster geschlossen hatte, konnte ich mir unter der Überschrift › Members of the CPO ‹ sämtliche Namen der Musiker ansehen, die der Philharmonie angehörten. Ich fand sogar einen Künstler der Nikolaus hieß. Nikolaus Bartoš, aber der spielte Oboe, und deshalb konnte ich ihn getrost

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